Asylotheken – Offene Verbreitung mit Plan

Asylotheken sind offene Büchereien in Flüchtlingsunterkünften. 48 gibt es schon in Deutschland, und es sollen noch viel mehr werden. Bisher ist der Gründer in jeden Gründungsprozess eingebunden – zukünftig soll ein Netzwerk Betrieb und Verbreitung begleiten.

 

Am Anfang stand ein Aufruf auf Facebook. Günter Reichert, der Initiator der Asylotheken, suchte Engagierte, die die Idee in Berlin umsetzen: Auch dort sollten Flüchtlinge einen Raum in ihrer Unterkunft erhalten, der mit Büchern und Spielen bestückt ist und in dem ganz unterschiedliche Angebote – von der Hausaufgabenhilfe bis zum Malworkshop – stattfinden können. Ziel ist es, auf diese Weise Sprache, Bildung, Kultur und Integration zu fördern. Das Modell funktioniert bereits in Dutzenden Unterkünften in ganz Deutschland und wurde mehrfach ausgezeichnet.

Kick-off in Berlin

Elisabeth Bracun war eine von zehn Interessierten, die zum Kick-off mit Günter Reichert im September 2015 kamen: „Das Ganze war zu Beginn ein Experiment, schließlich kannten wir uns vorab überhaupt nicht. Wir haben uns dann aber ziemlich schnell selbst organisiert und an die Umsetzung gemacht“, erinnert sie sich. Konkret heißt das, dass die Gruppe keine Teamleitung bestimmt hat, sondern unterschiedliche Zuständigkeiten verteilt hat: Öffentlichkeitsarbeit, Fundraising, Social Media, Bücherspenden, Freiwilligenkoordination. Das Kommunikationstool war von Anfang an Trello, eine Plattform, auf der Aufgaben eingetragen, laufend aktualisiert und kommentiert werden. Zur Außenwirkung diente zunächst eine Facebook-Seite, inzwischen gibt es auch einen Blog, der über die Gruppe informiert. Günter Reichert ist von Nürnberg aus für Fragen ansprechbar, in der Anfangsphase gab es einen fixen wöchentlichen Telefontermin.

OpenTransfer CAMP Refugee Helpers_Asylothek

Welche Heimleitung zieht mit?

„Die größte Herausforderung war am Anfang tatsächlich, eine Unterkunft zu finden, bei der die Heimleitung mitzieht. Hier war eine ganze Menge Überzeugungsarbeit zu leisten. Oft sind die Gebäude bis auf das letzte Zimmer mit Flüchtlingen belegt. Da ist dann kein Platz für eine Bücherei“, weiß Bracun. Nachdem eine Unterkunft in Berlin-Weißensee zugesagt hatte, einen Raum für eine Asylothek zur Verfügung zu stellen, ging es dann relativ schnell. Der Raum wurde zusammen mit den Bewohnerinnen und Bewohnern gestrichen, Regale und Tische wurden aufgestellt. Bücherspenden kamen von Privatleuten, dem Berliner Büchertisch und von Verlagen. Am 24.11.2015 war die Eröffnung.

An drei Tagen in der Woche ist die Asylothek nun für mehrere Stunden geöffnet. Bewohnerinnen und Bewohner können die Bücher, die in ganz unterschiedlichen Sprachen geschrieben sind, vor Ort lesen oder entleihen, sie können aber auch spielen oder an verschiedenen Kursen teilnehmen.

Ausbaustufe NUK Tempelhof

Parallel zur Eröffnung der ersten Berliner Asylothek begann die ehrgeizige Planung, in Deutschlands größter Unterkunft, dem ehemaligen Flughafen Tempelhof, Fuß zu fassen. 7 000 Menschen sollen einmal in den Flugzeughangars Platz finden. Die Verhandlungen mit dem Betreiber der Unterkunft zogen sich über viele Monate – inzwischen gibt es ein Go. Ein Teil eines Begegnungscafés ist für die Asylothek reserviert. Eine neue Herausforderung, da es in diesem Fall keinen abschließbaren Raum gibt. Eine Architektin und Messebauerin aus dem Team hat deshalb eine modulare Regallösung entworfen. Diese wird in den kommenden Wochen zusammen mit den Bewohnerinnen und Bewohnern zusammengebaut. Eine Spendenkampagne soll den Kauf der Materialien ermöglichen.

Bücher Asylothek

Tipps vom Gründer

Das Gründungsverfahren mit einem öffentlichen Aufruf ist nur eine Möglichkeit, wie ein neues Team zustande kommt, erzählt der Gründer Günter Reichert, der 2012 die erste Asylothek in einer Gemeinschaftsunterkunft in Nürnberg aufbaute. „Oft genug meldet sich schon eine komplette Gruppe bei uns, die starten will. Der Einstieg ist dann sehr niedrigschwellig.“ Zur Unterstützung gibt es einen 11-Punkte-Leitfaden, der das Verfahren von der ersten Mail an die Asylothek-Zentrale bis zur offiziellen Eröffnung beschreibt. Die Gruppe muss keinen Verein gründen, nur sich die Zeit nehmen, sich zu sortieren und auszuprobieren, was vor Ort möglich und sinnvoll ist. Reichert bleibt im Hintergrund und steht für regelmäßige Telefonate während der Gründung zur Verfügung. Die E-Mail-Adressen der einzelnen Asylotheken laufen inzwischen über eine gemeinsame Domain, ein einheitlich gestalteter Auftritt nach außen ist nicht notwendig. Das Credo: loslegen, Erfahrungen sammeln, es wird schon funktionieren!

Reichert: „Die Verbreitungsstrategie sieht vor, dass wir mittelfristig ein flächendeckendes Netz von Asylotheken aufbauen. 102 Standorte haben wir definiert, von denen aktuell 48 bereits aktiv sind. Etliche weitere befinden sich in Gründung.“ Klar ist, dass die Kapazitäten des Gründers hier an ihre Grenzen stoßen. Er managt das gesamte Projekt nach wie vor ehrenamtlich. Geplant ist daher der Aufbau eines Netzwerks – also einer Struktur, in deren Rahmen die Gruppen voneinander lernen können, sich über Erfolge und Rückschläge austauschen können.

 

Steckbrief

Name: Asylothek
Thema: Büchereien für Flüchtlingsunterkünfte
Verbreitung: 48 Standorte, mehrere in Gründung
Sucht Co-Gründer in: bundesweit
Teamgröße: 1 Projektkoordinator vor Ort
Kosten: spendenbasiert
Info: http://www.asylothek.de

 

Der Artikel entstammt dem E-Book „Refugees. Richtig gute Projekte, Tipps und Tools„.

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