Im Alter auf die Bühne
Ingrid Berzau, Altentheater Köln, beim openTransfer CAMP am 9. Mai 2014 in Köln
Eine Gruppe älterer Menschen steht beisammen wie eine Jugendgang; alle tragen umgedrehte Käppis auf dem Kopf und strecken die Zunge heraus. Eine schon gebrechlich wirkende Frau mit schlohweißem Haar posiert mit gezogenem Revolver in Cowboy-Kluft. Das Kölner Altentheater mischt Bilder vom Alter auf. Und auch in der Session auf dem otc Köln ging es ganz praktisch ums Schauspielern.
Das Altentheater Köln wurde bereits 1979 gegründet, damals war es das erste seiner Art in der Bundesrepublik. Angeschlossen ist das Projekt an das Freie Werkstatt Theater, eine professionelle Bühne, die seit 1977 existiert. Heute besteht das Ensemble des Altentheaters aus 25 Mitgliedern zwischen 66 und 95 Jahren. Das Repertoire wird im Kölner Theaterhaus und als Gastspiele im landes-, bundes- und sogar europaweiten Raum gezeigt. Das Freie Werkstatt Theater organisiert darüber hinaus vielfältige Projekte im Altenkulturbereich, z. B. Treffen zum Erfahrungsaustausch oder Festivals. So kamen zum ersten Welt-Altentheater-Festival im Jahr 1999 insgesamt 18 Theatergruppen aus 13 Ländern und fast allen Kontinenten. Vernetzung und Verbreitung werden also auch hier groß geschrieben.
Aber was wird da eigentlich gespielt? Und wer macht dabei mit? Bei dem Projekt geht es nicht darum, eine Beschäftigungsmaßnahme für ältere Menschen zu schaffen. Im Vordergrund steht die Theaterarbeit – mit der Besonderheit, dass an den Lebenserfahrungen der überwiegend älteren Spieler angesetzt wird. Das Theaterspielen schafft den Zugang zu Vergangenheit und Gegenwart des eigenen Lebens. Wer hier mitspielt, ist neugierig und hat Lust darauf, über das eigene Leben und den Lebenssinn nachzudenken, Muster zu reflektieren und sich neue Fragen zu stellen. Gemeinsam wird ein Thema gesucht und dann ein Stück entwickelt. Bei diesem Prozess wird viel improvisiert und experimentiert. Die Mitspielenden bringen ihre Ideen, Erfahrungen und ihr Können ein. Professionelle Schauspielkenntnisse sind nicht nötig, zwei erfahrene Theaterpädagogen leiten die Gruppe an. Neugierde, Spaß am Spiel und die Bereitschaft, etwas von sich preiszugeben, sind wichtige Voraussetzungen.
Die Inhalte der Stücke haben immer etwas mit dem Thema Alter zu tun. Es wird auf das eigene Leben zurückgeblickt oder nach der Situation als „Alte“ gefragt. Das Ensemble hat z. B. eine 100 Jahres-Revue entworfen oder Stücke mit Titeln wie „Wir, die Alten“ und „Vom Leben“ – das aktuelle Projekt. In speziellen Kooperationen wird außerdem intergenerativ gearbeitet. Das Altentheater spielt zusammen mit Schülern, an einzelnen Projekttagen oder in einem gemeinsam erarbeiteten Stück.
In der Session zeigte die Projektleiterin Ingrid Berzau zunächst einmal Fotografien verschiedener Aufführungen. Die Bilder waren oft ungewohnt, da alte Menschen meistens nicht auf Theaterbühnen zu sehen sind. Außerdem zeigten sie sich in vielen alters-„untypischen“ Posen: Mit herausgestreckten Zungen, auffällig kostümiert, lachend und agil. Schon allein diese Bilder brachten herkömmliche Vorstellungen vom Alter und von älteren Menschen ins Wanken. Sie beeindruckten die Teilnehmer der Session durch Mut, Witz und Offenheit. Deutlich wurde ein humorvoller Umgang mit „Altersthemen“: So wurde z. B. eine entwickelte Szene zu einem Senioren-Café gezeigt, versehen mit dem Kommentar „Immer wieder gibt es Kaffee und Kuchen…“.
Nach diesem ersten Eindruck von den Stücken des Altentheaters und einem kurzen Überblick zu dem Projekt standen dann spielerische Theaterübungen auf dem Programm. Ingrid Berzau leitete sie an, mit dabei waren auch einige erfahrene Ensemble-Mitglieder des Altentheaters. Zum Aufwärmen gab es ein paar Lockerungsübungen, Bewegungen vom schweren Sack bis zur leichten Feder. Dann folgten kurze, konkretere Sequenzen: Im Spiel wurden Gartenarbeiten verrichtet, geschaufelt, Schubkarren gefahren und schwere Dinge getragen.
Auf diese konkreten Arbeitstätigkeiten folgte dann eine Abstraktion: Die Teilnehmer sollten sich in die Gefühle Entspannung und Nervosität einfühlen und diese zeigen. Dann wurde zum Thema Alter übergeleitet. Ständig werde an Alte die Anforderung gestellt, aktiv zu sein. Genauso wichtig sei aber die Muße, das Genießen von Zeit und das freudvolle Ausschöpfen von Zeit. Um sich dem anzunähern, sollten die Teilnehmer in die Gefühle von Aktionismus und Muße eintauchen und in kurzen Sätzen äußern, was für sie Muße oder Aktivität bedeuten.
Die Teilnehmer erfuhren in der Session ganz praktisch, was das Theaterspielen leisten kann: Die Auseinandersetzung mit einem Thema findet durch die spielerische Aufbereitung auf einer ganz anderen, nicht rein rationalen Ebene statt. Der Körper denkt und fühlt mit, dies setzt neue Ideen und Erfahrungen frei. Das war ein spannender neuer Blick – nicht nur auf „das Alter“!
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