Weltreise durch Wohnzimmer – Verbreitung mit dem richtigen Partner

Beim Projekt „Weltreise durch Wohnzimmer“ laden Menschen mit ausländischen Wurzeln Interessierte zu sich nach Hause ein und erzählen von ihrer Heimat – mit erstaunlichen Effekten für alle Beteiligten. Für die Verbreitung hat die Ideengeberin mit örtlichen Volkshochschulen den optimalen Partner gefunden.

 

Als Dozentin für „Deutsch als Fremdsprache“ macht Catrin Geldmacher immer wieder dieselbe Erfahrung: Wer noch nicht perfekt Deutsch spricht, wird meist nicht für voll genommen, auch wenn jemand in seinem früheren Leben ein großes Unternehmen in Sri Lanka geführt hat oder als Professor in Russland gearbeitet hat. Zugezogene empfinden sich oft als Bittsteller, Außenseiter, als jemand, der immer nur einen Teil versteht. Sie erzählt: „Bei mir hat es beim Besuch einer irakischen Familie Klick gemacht. Ich war begeistert, was die Leute an Wissen, Erfahrungen, Geschichten ausbreiteten – ein wirklicher Schatz.“ Von dem Moment an, wollte sie, dass ganz viele Menschen solche Begegnungen erleben können. Schließlich profitieren beide Seiten von den gemeinsamen Stunden: Für die Gastgeber ist es eine wichtige Erfahrung, die das Selbstwertgefühl stärkt, Mut macht und Zugehörigkeit schafft. Der Besucher verliert Berührungsängste, entwickelt eine größere Offenheit und bekommt einen anderen Blick auf die Welt.

Wohnzimmer Ruanda2

So entwarf Catrin Geldmacher ein Konzept, in dem die örtliche Volkshochschule Rheda-Wiedenbrück, an der sie auch unterrichtet, eine zentrale Rolle spielt. Der große Vorteil der Volkshochschule als Partner: Sie hat Kontakt zu vielen potenziellen Gastgebern („Reiseleiter“), nämlich entweder Dozenten mit ausländischen Wurzeln oder Teilnehmer an den Deutschkursen. Zusätzlich kann die Volkshochschule über ihr Programm sehr leicht interessierte Teilnehmer („Reisende“) ansprechen und das Organisatorische abwickeln. Konkret sieht das so aus: Eine Weltreise mit zum Beispiel vier Terminen in unterschiedlichen Familien wird im offiziellen Programm der Volkshochschule gelistet. Interessierte melden sich dann wie zu jedem anderen Kurs an und bezahlen eine Kursgebühr. Catrin Geldmacher besucht die Gastgeber-Familie vorher und bringt einen Fragebogen mit. Darauf finden sich einige Fragen, die das Erzählen über die Heimat erleichtern. Catrin Geldmacher berichtet: „Es geht um ganz einfache Fragen, z.B.: Wonach riecht es in Ihrer alten Heimat typischerweise? Welche Geräusche hört man dort?“ Die Fragen versetzen die Menschen ganz schnell zurück in ihr Herkunftsland. Das Erzählen funktioniert dann ganz von selbst. Geldmacher bringt außerdem einen Stempel mit, auf dem das jeweilige Land eingeprägt ist. Denn jeder Teilnehmer erhält einen „Reisepass“, in dem er die Länderstempel sammeln kann. Von denen gibt es inzwischen mehrere Dutzend – Brasilien, Peru, Ruanda, Türkei, Polen, Mazedonien, China …

Was in Rheda-Wiedenbrück 2011 begann, hat sich zunächst in der Region verbreitet. Volkshochschulen in Essen, Bochum, Gütersloh, Hamm, Halle/Westfalen und Kleve haben das Projekt inzwischen übernommen. In jeder Stadt gibt es einen Verantwortlichen, der das Projekt vertritt. Das kann ein Mitarbeiter der Volkshochschule sein, ein Dozent oder einfach jemand, der von der Idee begeistert ist. Die Hauptaufgabe besteht dann im Vorabbesuch der Familien und dem gemeinsamen Durchsprechen des Fragebogens. Die Stempel und Reisepässe verschickt Catrin Geldmacher, sie ist auch für das Erstellen von Materialien verantwortlich. Inzwischen ist das Projekt auch in Berlin-Steglitz und Wetzlar in Vorbereitung. Werbung muss Geldmacher dafür nicht betreiben. Sie reagiert vor allem auf Menschen in anderen Städten, die sich von der Projektidee haben anstecken lassen. Die Verbreitung selbst verläuft weitgehend informell. Man trifft sich, guckt, ob die Chemie stimmt, und beschließt dann – ohne Vertrag oder ähnliches – zusammenzuarbeiten. Ein Übertragungshandbuch zu erarbeiten oder umfangreiche Qualitätsstandards – das wäre unrealistisch bei der derzeitigen Aufstellung des Projekts. Zu starre Vorgaben sind ohnehin nicht gewollt. Catrin Geldmacher vertraut auf die Einfachheit ihrer Idee und eine weitgehend ungesteuerte Weiterentwicklung des Projekts: „Ich bin gespannt, wie das Projekt in zehn Jahren aussieht!“ Für die kreative Ausgestaltung vor Ort bleiben also jede Menge Spielräume.

Besonders engagierte Unterstützer und Projektverantwortliche hat Geldmacher jetzt in einem „Expertenteam“ zusammengeschlossen. Geldmacher: „Hier werden Ideen ausgetauscht und Erfahrungen geteilt. Und es geht auch darum, mich punktuell zu entlasten, indem einzelne Mitglieder auch übergeordnete Aufgaben übernehmen.“

Foto mit Rheda-Wiedenbrück

Catrin Geldmacher hat mit den Volkshochschulen den optimalen institutionellen Partner gefunden. Er verschafft Zugänge zu den Menschen, die das Projekt erreichen will und wickelt viele der organisatorischen Aufgaben ab. Auf diese Weise reduziert sich der Aufwand bei den Projektverantwortlichen vor Ort erheblich. Und auch die Initiatorin kann sich darauf konzentrieren, das organische Wachstum des Projekts weiter zu begleiten. Auch hier, im Bereich Skalierung, hält sie den Aufwand durch die Form der offenen Verbreitung gering. Das schont nicht nur die knappen Ressourcen – die Verbreitungsform entspricht auch dem offenen und autonomen Charakter des Projekts.

„Weltreise durch Wohnzimmer“ hat mit dem „Westfalen-Beweger“ gerade wieder eine Auszeichnung gewonnen. Preisgelder fließen in weiteres Infomaterial, Pflege der Homepage, aber auch in Reisekosten, wenn Geldmacher beispielsweise zur Konferenz „Cities of Migration“ nach Berlin eingeladen wird oder weitere Vernetzungsschritte unternimmt.

www.weltreisedurch.de

Update (Dezember 2014):

2015 soll aus Catrin Geldmachers Einzelengagement ein gemeinnütziger Verein entstehen, dessen Ziel die nationale und internationale Verbreitung der friedensstiftenden „Wohnzimmerbegegnungsbewegung“ ist.

Als neue Reiseziele haben die Städte Münster, Königswinter, Lennetal, Frankfurt, Köln, Augsburg und Hagen Interesse bekundet.

50 Reisetermine stehen für 2015 schon fest. Wann es wohin geht, sehen Sie auf der Homepage.

Melden Sie sich bei Catrin Geldmacher, wenn Sie Menschen kennen, die in Deutschland oder im Ausland Wohnzimmerreisen starten möchten. Das Rad braucht nicht immer wieder neu erfunden werden, die Reisepässe und Stempel, die Anschreiben und Fragebögen müssen nicht immer wieder neu entworfen werden. Es reicht, sich voll auf die immer wieder einzigartigen Begegnungen zu konzentrieren und die damit verbundene Horizonterweiterung einfach zu genießen.

2 Kommentare bei “Weltreise durch Wohnzimmer – Verbreitung mit dem richtigen Partner

  1. Sehr geehrte Frau Geldmacher,
    wie gern würde ich Ihr Projekt auch in Köln sehen, einer Stadt mit sehr vielen, unglaublich vielen Mitbürgern aus verschiedenenLändern und noch mehr Menschen, die noch kein zu Hause gefunden haben. Was kann man tun, um Ihre wundervolle Idee auch nach Köln zu holen?
    Mit herzlichen Grüßen
    Ursula Stachow

    1. Sehr geehrte Frau Stachow,
      ich leite Ihr Mail gleich an Frau Geldmacher weiter. Die wird sich dann sicher mit Ihnen in Verbindung setzen.
      Herzliche Grüße
      Henrik Flor

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