Deutschland summt – Vom Spagat zwischen Unabhängigkeit und Verbindlichkeit

Sie stehen auf den Dächern des Berliner Doms oder des Abgeordnetenhauses: Die Bienenstöcke von „Berlin summt! Die Initiative“ möchte möglichst viele gesellschaftliche Gruppen motivieren, auf ihre Art und Weise zur Stärkung der biologischen Vielfalt beizutragen. Der Ansatz, Bienenvölker auf prominenten Dächern anzusiedeln, hat sich seit 2011 von Berlin aus in viele weitere Städte verbreitet. Im Interview spricht Dr. Corinna Hölzer über ihr Projekt und die Herausforderungen beim Transfer.

 

Wofür steht „Berlin summt!“?

Die Initiative wünscht sich, dass Naturschutz stärker als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrgenommen wird. Die Erhaltung von biologischer Vielfalt geht jeden etwas an, egal man sich nun als Privatperson betrachtet oder berufliche Funktionen in Politik, Verwaltung, Kultur, Kirche, Wirtschaft, Bildung oder Wissenschaft ausübt. Berlin summt eben nur, wenn die Wertschätzung gegenüber den Bestäuberinsekten stärker in „Nichtnaturschutzgruppen“ verankert wird.

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Foto: Einweihung des Magazins auf dem Musikinstrumentenmuseum am Berliner Kulturforum

Wie kamen Sie auf die Biene als Sympathieträger für Ihr Projekt?

Mein Mann, Cornelis Hemmer, und ich kommen aus der Naturwissenschaft und wir beschäftigen uns lange mit der Vernetzung von Akteuren und mit Umweltkommunikation. Um die Kommunikation rund um das Thema „biologische Vielfalt“ in den Medien zu erleichtern, mussten wir die Komplexität dieses Themas reduzieren. Die Biene hat ein ziemlich positives Image und kann außerdem als Schlüsselwesen die Verbindung von Flora und Fauna gut verdeutlichen. Aktuell gibt es einen starken Rückgang der Honigbiene und auch der 560 Wildbienenarten in Deutschland. Das ist also ein drängendes Problem. Über die Faszination Honigbiene möchten wir die Leute dort abholen, wo sie stehen.

Wie begann die Erfolgsgeschichte von „Berlin summt!“?

Im Mai 2010 bewarben wir uns bei einem Ideenwettbewerb der Bundeskulturstiftung, der sich um neue Ansätze für ein nachhaltiges Berlin rankte. Von 850 Einsendungen bekamen 14 Startkapital, um ihre Idee umzusetzen. Wir waren dabei. Ich nannte das damals „Berlin summt. Honig von prominenten Dächern der Hauptstadt“. Mit der Förderung haben wir dann sofort losgelegt und bald den Slogan „Mit der Biene als Botschafterin zu mehr StadtNatur“ genutzt.

Warum gerade auf prominenten Dächern?

Wir sprechen eher von repräsentativen Orten, obwohl der Berliner Dom und das Abgeordnetenhaus auch prominent sind. Viele große Häuser in der City haben schlicht keinen Garten, außerdem ist es wegen des tollen Ausblicks und der Ungewöhnlichkeit medienwirksamer auf den Dächern. Die Imker haben hier auch keine Last mit Vandalismus. Der tiefere Sinn der Aktion war und ist, medienwirksam der Führungsebene aus Kunst und Kultur, Verwaltung und Politik, Kirche, Bildung, Wissenschaft und Wirtschaft das Thema „biologische Vielfalt“ nahezubringen. Wir wollten Anker werfen – rein in die entsprechenden gesellschaftlichen Gruppen, raus aus der klassischen Naturschutzszene, in der wir lange schon aktiv sind. Aber die netten Einweihungsfeiern auf den Dächern waren nur der Auftakt, um mehr Wertschätzung für die Bestäuber bei der Bevölkerung zu erreichen. Der Honig von den „Berlin summt!“-Standorten dient übrigens als guter Multiplikator für die Sache, weil er mit einer entsprechenden Kurzinformation auf dem Honigetikett an Mitarbeiter, Gäste und Freunde der Häuser weitergereicht wird.

Wie verläuft der Transfer Ihrer Arbeit von Berlin an Ihre Partner in anderen Städten Deutschlands?

Wir wachsen mit mehreren Geschwindigkeiten: In Berlin sind wir im dritten Jahr und haben inzwischen 17 Standorte, sechs waren ursprünglich geplant. Neu hinzugekommen sind das Jagdschloss Grunewald und die Klärwerke. Bei jedem neuen Standort müssen wir abwägen, ob dieser wirklich eine neue gesellschaftliche Gruppe erreicht und ob er über einen gewissen Multiplikatoreneffekt verfügt. Wir möchten eigentlich nicht zu viele neue Standorte, weil das mit einer gewissen Betreuung der Imker und Hausherren einhergeht. Aber oft bietet das Ambiente eines Standortes besondere Möglichkeiten oder eröffnet zusätzliche Multiplikatoren. Innerhalb von Berlin haben wir einen Bee Berlin-Stammtisch etabliert, der offen für weitere Interessierte ist.

Was die Städtepartnerschaften betrifft, so erhalten wir seit 2011 Anfragen von Interessierten aus anderen Städten, zum Beispiel von der KfW Bank in Frankfurt, die bereit war, uns für den Aufbau von „Frankfurt summt!“ auch eine finanzielle Starthilfe zu geben. Mit weiteren Projektgeldern konnten wir mit unserem eigenen Team einige schöne Summ-Aktionen in Frankfurt durchführen, möchten aber ab 2014 die Trägerschaft gern an eine Gruppe vor Ort übergeben, die dann selbst weiter wächst und gedeiht. In München gab es zwei Engagierte, die mit unserer Hilfe Projektmittel erhielten und im ersten Jahr auf dem Gasteig den Startschuss zu „München summt!“ gaben. Nun betreiben sie selbstständig Akquise und haben inzwischen ein ordentliches Netzwerk aufgebaut.

Gerade haben wir Anfragen von Interessierten aus Stuttgart, Hannover und Göttingen erhalten, die neue lokale Bienen-Initiativen aufbauen wollen, und auf unserer Plattform „Deutschland summt! Summen Sie mit?“ darstellen sowie sich miteinander vernetzen wollen.

Wir kooperieren und vernetzen uns gern, wenn es zu unserem Profil passt. Wir betrachten ähnliche Initiativen nicht als Konkurrenz. Aber wir möchten unser Profil nicht verwässern. „Deutschland summt!“ ist ja vor allem in Großstädten aktiv. Auf dem Land gibt es andere Akteure, die dort besser mit der Agrarszene vernetzt sind und schon tolle Lobbyarbeit pro Biene leisten. Da kooperieren wir gern, wo es zu einem Mehrwert für die Bienen führt. Auch unsere Partner in anderen Städten fordern wir auf, sich zu vernetzen und lokale Entscheidungsträger wie Kommunalpolitiker anzusprechen. Dazu leisten wir den Support, indem wir Checklisten, Konzepte und Vertragsformulare bereitstellen. Dabei fördern wir intensiv die Eigeninitiative der Partner, sich um lokale Gelder zu bemühen.

Wie wird die Kommunikation mit den Partnern gestaltet?

Wir haben eine klare Strategie der Öffentlichkeitsarbeit. Diese haben wir in Kernbotschaften formuliert, die unsere Partner unterschreiben müssen. Etwa, dass wir uns nicht als Imkerprojekt verstehen, sondern dass wir alle die vernetzen möchten, die sowohl Wild- als auch Honigbienen gleichermaßen in den Fokus nehmen. Dazu gehören natürlich auch Gärtner, Umweltbildner, Künstler und viele, viele weitere Personen und Gruppen. Unser verbindendes Element nach außen ist das sympathische Maskottchen-Logo, das in unterschiedlichen Farben den verschiedenen Städte-Initiativen ein gewisses „Etwas“ verleiht und ein Wiedererkennungsmerkmal ist. Außerdem haben wir eine Corporate-Design-Richtlinie festgelegt, die zwar viele Freiheiten lässt, aber auch Qualitätsmaßstäbe setzt. Weil wir hier negative Erfahrungen gemacht haben, legen wir zum Beispiel die Schriftgröße und Textfarbe unserer Textvorlage fest. Welche Bilder und welche Texte die lokalen Partner wählen, bleibt ihnen überlassen. Über neue Designideen freuen wir uns und wollen uns gegenseitig anregen und voneinander profitieren.

Wenn wir unsere Kooperationsvereinbarung verschicken, bitten wir zum Beispiel, Kommentare direkt in den Text zu schreiben. Wir wollen nicht von oben herab kommunizieren. Aber trotzdem wollen wir verbindlich sein. Ehrlichkeit und Klarheit sind wichtig für die professionelle Kommunikation und um extern und intern das Team zusammenzuhalten. Wichtig ist die Haltung: Man muss transparent, authentisch und offen sein und auch konstruktive Kritik aushalten wollen. Um Interessierten einige Qualitätsmerkmale auf den Weg zu geben, haben wir vor einigen Monaten einen Kurzfilm erstellen lassen, die simpleshow, und auf die Startseite von „Deutschland summt!“ gesetzt. Die Hoffnung ist, damit die zur Gesamtinitiative passenden Menschen zu motivieren, sich bei uns zu melden.

 

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Foto: Neue Heimat für ein Bienenvolk auf dem Berliner Dom

Was haben Sie im Prozess der Skalierung bisher gelernt und dann besser gemacht?

Wir haben gelernt, dass sich gerade Selbstständige in ihrer Freizeit gern ehrenamtlich für die Bienen stark machen wollen, wenn dabei die Kosten (etwas mehr als) gedeckt sind und sie weitgehend eigenständig und kreativ arbeiten dürfen. Sie haben oft kommunikative und organisatorische Fähigkeiten, die andere nicht haben. Sie wollen vor Ort nicht unbedingt mit der größten Naturschutzorganisation als Träger des Summ-Standortes arbeiten, weil sie fürchten, dass Entscheidungsschleifen unnötig lang werden etc.

Der Nachteil liegt darin, dass oft erst ein Verein als Träger aufgebaut werden muss und kein Geld vorhanden ist. Wir drängen darauf, erst eine Kleingruppe aus mindestens drei hoch motivierten Personen mit unterschiedlichen Kompetenzen zu bilden, bevor es losgeht.

Grundsätzlich haben wir festgestellt, dass viele Menschen gern an der Gesamtinitiative teilhaben möchten, das Logo und den Slogan „Stadt xy summt!“ für ihre Stadt adaptieren wollen. Die Herausforderung liegt darin, den Rahmen vorzugeben, Hilfestellung zu leisten, aber genug Raum für eigene Kreativität zu lassen. Viele Leute möchten möglichst schnell beginnen, nachdem sie sich entschlossen haben, mitzusummen, und brauchen eigentlich zügig viele Materialien, am besten kostenfrei. Hier haben wir im letzten Jahr zwei Interessenten (fast) verloren, weil der Prozess der Annäherung von unserer Seite zu lange dauerte und 500 Euro Gebühr für das Starterpaket als zu viel empfunden wurde. Wir tragen uns gerade mit dem Gedanken, das Starterpaket tatsächlich kostenfrei zu vergeben, nachdem der Kooperationsvertrag geschlossen wurde. Wenn wir nicht auf Gemeinsamkeiten und Qualitätsmerkmale achten, würde das Ganze schnell zerfallen und von außen kaum mehr erkennbar sein, wofür die Initiative steht.

Wir möchten vermeiden, als reine PR-Kampagne eingestuft zu werden, nur weil wir den Fokus auf gute Kommunikation legen. Auch sind wir keine Imker-Initiative, auch wenn wir mit Imkern zusammenarbeiten. Wir möchten unser Ziel, die Erhaltung von biologischer Vielfalt, einfach nicht aus den Augen verlieren. Wir haben die Kernbotschaften des Projekts deshalb schriftlich festgelegt und lassen diese von unseren Partnern unterschreiben. Wir planen, ein Mal im Jahr einen Vernetzungs-Workshop für alle Städteinitiativen anzubieten und wir wollen einen kleinen Rundbrief etablieren, mit dem wir uns ein Mal im Quartal gegenseitig über positive und negative Erfahrungen austauschen. Dieser kann auch in Stichworten verfasst sein. Wichtig ist der Austausch von Informationen. Das soll nicht unnötige Arbeit machen. Wir fördern auch ganz informell den Austausch untereinander, zum Beispiel haben wir den Interessenten aus Dresden die druckfrische Satzung der Stuttgarter zum Vergleich mit ihrem eigenen Entwurf vermittelt – das spart Zeit und Nerven, die besser direkt ins Projekt investiert werden sollten.

Wir liefern ab sofort unseren Partnern als Einstiegshilfe ein Starterpaket mit Maskottchen-Logo, Maskottchen-Aufklebern, Buttons, Wildbienen- und Gartenflyer sowie ein Selbstdarstellungs-Roll-up und ein Outdoor-Banner. Allerdings müssen sie die Druckkosten selbst zahlen. Auch geben wir Erfahrungen weiter über „Zutaten“, die einen Aktionsstand oder eine Veranstaltung interessant machen. Die Frage ist vor allem bei wenig etablierten Kleingruppen, wer die Anfangskosten trägt. Gebühren für die Bereitstellung des ganzen Materials sichern die Ernsthaftigkeit der Interessenten. Andererseits haben sie oft schlicht kein Geld, um den Start zu finanzieren. Als junge kleine Stiftung können wir unmöglich alles allein stemmen. Wie aber können wir Ehrenamtliche motivieren, Arbeit in Projektanträge zu stecken? Wie geht man mit den Absprachen um? Wenn wir alle Informationen kostenlos bereitstellen, dann sind die Partner zunächst zufrieden. Aber ist das nachhaltig?

Was sind für Sie die Hürden und Chancen der Skalierung?

Hürden sind momentan die Unerfahrenheit vieler Interessenten, was Projektfinanzierung betrifft, und die fehlende Finanzierungs- und Personenstärke unserer Stiftung, die „Neuen“ aus eigenen Mitteln zu fördern. Sobald eine Gruppe, wie zum Beispiel die Münchner, den Start hinbekommen haben, läuft es fast wie von selbst – der nette Name und das Konzept dahinter sowie das Eingebundensein in die Gesamtinitiative, die starke Öffentlichkeitsarbeit betreibt und seit 2013 die Lebensgefährtin des Bundespräsidenten, Daniela Schadt, als Schirmherrin hinter sich weiß, führen zu einer deutlichen Wahrnehmung der Summsumm-Aktivitäten in der jeweiligen Stadt. Das zieht Kreise und macht diese Kerngruppe attraktiv für andere Aktive.

Wir vom „Deutschland summt!“-Team müssen den Spagat zwischen der geforderten Hilfestellung und der gewünschten Unabhängigkeit der Städtepartner hinbekommen, da lernen auch wir täglich dazu. Die Balance zwischen Qualitätsanspruch und Freiraum zu wahren, kann durch Kooperationsverträge und eine gleichzeitige Lockerheit, Verbundenheit und auch Vertrauen ineinander gewahrt bleiben. Hierzu würde ich mich sehr gern mit anderen Skalierungsprojekten austauschen! Grundsätzlich müssen wir aufpassen, dass das Projekt nicht zum Selbstzweck wird, das heißt, Events und Medienerfolg dürfen nicht im Vordergrund stehen, sondern wir müssen mit unseren Partnern immer wieder prüfen: Was bringt es den Wild- und Honigbienen am Ende? Wenn die gesellschaftlichen Akteure „Deutschland summt!“ als positiv empfinden, ist damit erst wirklich etwas gewonnen, wenn deren neue Wertschätzung den Bienen gegenüber auch in entsprechende Taten mündet. Bewusstseinsförderung ist aber immer schwierig zu messen – wir merkten im Laufe der bisherigen drei Jahre, dass das Thema deutlich bei den Menschen verankert wurde und es nun mehr und mehr drum geht, konkrete Handlungstipps zu geben, wie wir alle gemeinsam den Bienen helfen können. Das mündete sogar in einem Buch, was im September 2013 erschien: „Wir tun was für Bienen. Bienengarten, Insektenhotel und Stadtimkerei“ – ein kleiner Ratgeber beim Kosmos-Verlag. Wir tauschen uns mit Bieneninstituten und anderen wissenschaftlichen Instituten aus. Dies ist arbeitsintensiv, weil wichtige Literatur oft nur in Englisch verfügbar ist. Wir überführen zum Teil die wissenschaftlich geschriebenen Texte in „verständliches Deutsch“ und vermitteln die Erkenntnisse an die Öffentlichkeit, worüber sich die Wissenschaftler freuen. Wir versuchen also, unseren holistischen Grundgedanken reduziert und dadurch verständlich herüberzubringen. Die Medien lockt man mit Neuem und Ungewöhnlichem. Das spornt uns an, kreativ zu bleiben. Unsere Arbeit ist etwa vergleichbar mit einem Stein, den wir ins Wasser werfen: Der Stein erzeugt Kreise, schlägt Wellen, die sich mehr und mehr ausbreiten. Irgendwann ist dann aber dieser Effekt nicht mehr spürbar. Dann ist es notwendig, einen neuen Stein ins Wasser zu werfen.

 

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