Die Hürden der Skalierung

Warum scheitern Innovationen so häufig – und damit auch zahlreiche Skalierungs-Vorhaben? Die Studie „Innovation and Scaling for Impact” gibt Antworten. Die Autor:innen haben jede Menge todsicherer Tipps, wie man mit seinen Plänen scheitert.

Soziale Innovation ist nicht erst seit #WirVsVirus, dem großen Hackathon der Bundesregierung, in aller Munde. Angesichts der digitalen Transformation unserer Gesellschaft sind Non-Profits gefordert, die Dinge auf neue, auf andere Art anzugehen. Sei es, um den sich ändernden Bedarfen ihrer Zielgruppen und Mitarbeitenden gerecht werden oder effizienter arbeiten zu können: Die Erwartungen an soziale Innovationen – und insbesondere an die Innovator:innen – sind hoch gesteckt, zumal immer auch die Erwartung an sie mitschwingt, mehr als nur im kleinen Kreis zu wirken.

Innovation & Skalierung

Die Erzählung von heroischen Innovator:innen, von Intra- oder Entrepreneurs, die quasi im Alleingang die Welt besser machen, ist immer noch weit verbreitet. Häufig aber vernebelt schlicht die Dampfplauderei aus fragwürdigen Statistiken und hanebüchenen Kurzgeschichten den Boden der Tatsachen: nämlich, dass die Entwicklung einer jeden sozialen Innovation ein Organisationsentwicklungsprozess darstellt, den Innovator:innen auch im Rudel nicht selbst stemmen können. Um über den Nukleus eines Prototypen aus Klickdummies, Knete und Legosteinen hinaus wirken zu können, bedarf ja immer auch derer, die sich des Neuen annehmen.

Warum das so häufig nicht klappt, warum zum Beispiel so viele Start-ups nie in die schwarzen Zahlen kommen, zeigt die Studie „Innovation and Scaling for Impact“ von Christian Seelos (Stanford University) und Johanna Mair (Hertie School). Seelos und Mair listen entlang modellhafter Innovationsprozesse aus „Ideation“, „Prototyping“ und „Scaling“ unterschiedliche Pathologien als Symptome für tiefer liegende Schwierigkeiten der Organisationsentwicklung auf:

Pathologien in der Phase der Ideenfindung

  • Niemals anfangen: Einfach immer so weitermachen wie bisher, nichts ändern. Anpassen oder ausprobieren ist wohl eine der fatalsten Innovationspathologien.
  • Zu viele schlechte Ideen: Immer neu und immer anders, je nachdem, wer gerade am Ruder ist, überfordert auch die flexibelsten Geister.

Pathologien in der Phase der Pilotierung

  • Zu früh aufgeben: Pilot-Projekte gleich bei den ersten Schwierigkeiten zu beerdigen und zu schnell zum ‚business as usual‘ zurückzukehren, verhindert das Lernen.
  • Zu spät aufgeben: Wirkungslose, dysfunktionale oder gar schädliche Pilot-Projekte zu spät oder gar nicht beenden: der sprichwörtliche Klotz am Bein.

Pathologien in der Phase der Skalierung

  • Ungenügende Ausbeutung: Wirkungspotenziale einer entwickelten Neuerung nicht ausschöpfen oder “im eigenen Keller” verstecken: Passiert öfter als man denkt.
  • Zu früh wieder Neues entwickeln: Eine Neuerung nach der anderen zu entwickeln, bindet Ressourcen und erschwert Skalierung.
Das Buchcover von "Innovationn and Scaling"

Diese Pathologien allein sagen natürlich noch nicht viel darüber aus, wo der Hase eigentlich im Pfeffer liegt. Es sind, wie gesagt, Symptome für tiefer liegende Schwierigkeiten der Organisationsentwicklung. Und auch hier sind es nicht (nur) die Menschen, die sich vielleicht einfach weniger gegen Neues wehren sollten, sondern (vor allem) die Strukturen, in die Non-Profits zumeist eingebunden sind und die über Jahre und Jahrzehnte auch ihre Organisationsstruktur und -kultur prägen.

Der Hase im Pfeffer

Als wesentliche Herausforderung bei der Entwicklung sozialer Innovationen beschreiben Christian Seelos und Johanna Mair sechs “Handlungsunsicherheiten” in drei Dimensionen der Wirkungsweise („impact creation logic“) von Organisationen, die im Prozess zuweilen als Zweifel formuliert werden, häufig aber im Unkonkreten bleiben – es sind Unsicherheiten die am Anfang eines jeden Innovationsprozesses relativ hoch sind und in dessen Verlauf abnehmen:

Unsicherheit in der Dimension des Problems

  • Problemverständnis: Welches konkrete Problem soll gelöst werden? Wer hat dieses Problem eigentlich?
  • Adaptierbarkeit: Kann die neue Lösung von der Zielgruppe, von den Haupt- und Ehrenamtlichen angenommen werden?

Unsicherheit in der Dimension von Strategie und Mission

  • Passung: Passt die Lösung zu Strategie, Mission und Werten der Organisation?
  • Changemanagement: Ist der für die Lösung notwendige Veränderungsprozess zu bewältigen?

Unsicherheit in der Dimension von Kapazitäten und Ressourcen

  • Nachhaltigkeit: Ist die neue Lösung finanziell tragbar? Hat die Zielgruppe die Kapazitäten und Kompetenzen, die Lösung zu nutzen?
  • Nicht-intendierte Nebenfolgen: Sind die “Nebenkosten” der neuen Lösung bekannt und für die Organisation und ihre Zielgruppen tragbar?

Dass die Entwicklung sozialer Innovation immer mit Unsicherheiten verbunden ist, ist ihrem Wesen nach nicht weiter überraschend. Man kann nicht risikolos innovieren! Dass aber auch die Implementierung von bereits an anderer Stelle entwickelten und erprobten Innovationen mit genau diesen Unsicherheiten verbunden ist, ist vielen noch neu. Auch die Skalierung ist nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen zu haben!

Gemeinsam ist‘s besser

Wenn also Innovation und Skalierung nicht ohne Risiko zu haben ist und viele praktische Gründe – beispielsweise Projektförderung mit langen Meilensteinplänen oder das Engagement für sensible Zielgruppen, bei denen besser nichts schief geht – gegen die (eigene) Entwicklung sozialer Innovation sprechen, wie können Non-Profits dennoch Neues wagen? Nach meiner Erfahrung, und die ersten Analysen zum #WirVsVirus Hackathon und seinen Umsetzungsprogrammen weisen auch in diese Richtung, sind Netzwerke für den Austausch mit Innovator:innen, Pionier:innen und Spezialist:innen hierfür sehr hilfreich. Sie helfen zu verstehen, welche Chancen in der Entwicklung und Skalierung sozialer Innovationen stecken und auch das Vertrauen für gemeinsames Lernen aufzubauen. Das ist nicht trivial! Denn nur wer darauf vertrauen kann, dass ein Entwicklungsprozess wirklich zu schaffen ist, wird sich auf den Weg machen und so mindestens die erste Innovationspathologie überwinden.

Seelos, Chrisitan / Mair, Johanna
Innovation and Scaling for Impact. How Effective Social Enterprises Do It.
Stanford University Press 2017
Englisch
256 Seiten
ca. 21,- Euro

Ausführliche Rezension von Hannes Jähnert findet ihr hier.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.