Die Zusammenarbeit mit dem Projektnehmer – Warum der persönliche Kontakt unersetzlich ist
Wer sein Projekt an anderen Orten umsetzt, möchte dies natürlich mit der gleichen Qualität wie am Ursprungsort tun. Es gibt jede Menge Maßnahmen, um die Qualität zu sichern – von der regelmäßigen Evaluation, gemeinsame Datenbanken bis hin zu regelmäßigen Fortbildungen. Wir haben einige erfolgreiche Transferprojekte gefragt, wie sie die Qualität vor Ort gewährleisten. Die Antworten waren überraschend einhellig und einfach: der persönliche, individuelle Kontakt mit den Projektnehmern bzw. den Personen oder Organisationen, die das Projekt gemeinsam mit Euch oder eigenständig vor Ort umsetzen ist ausschlaggebend. Aber wie genau funktioniert die Zusammenarbeit?
Persönliche Bedarfe vor Ort erkennen und darauf eingehen
Schauen wir uns einmal die Verbreitung der Organisation „Über den Tellerrand“ an. Seit 2013 schafft der Verein in Berlin Begegnungen zwischen Menschen mit und ohne Fluchterfahrungen. Oftmals über gemeinsames Kochen, aber auch andere Aktivitäten, lernen sich Menschen kennen und bauen Vorurteile ab. Die Erfolge in Berlin haben schnell dazu geführt, dass Anfragen aus anderen Städten kamen. Viele Menschen wollten das Konzept auch bei sich vor Ort umsetzen. Mittlerweile werden Begegnungstreffen in momentan 31 Städten durchgeführt. Die Gruppen vor Ort sind sehr divers – sowohl intern als auch von Gruppe zu Gruppe. Sie unterscheiden sich in ihrer Altersstruktur und darin, ob die Mitglieder auf dem Land oder in der Stadt leben. Sie bestehen aus deutschen und nicht-deutschen Muttersprachlern, Studierenden, Berufstätigen, alleinerziehenden Müttern und Vätern. Aufgrund dieser Diversität hat die Berliner Zentrale von „Über den Tellerrand“ schnell festgestellt: es ist wichtig, die Zusammenarbeit individuell, angepasst auf die jeweiligen Bedarfe, zu gestalten.
Was genau ist gemeint? Oftmals werden im Rahmen der Transferstrategie Instrumente der Zusammenarbeit entwickelt, etwa eine regelmäßige Berichterstattung, ein Intranet oder eine Datenbank, in der sich die Projektnehmer austauschen sollen oder wichtige Daten festgehalten werden. Dadurch lässt sich die Standardisierung erhöhen und damit der Zeitaufwand der Betreuung reduzieren. Das ist gut. Aber manchmal geht es eben doch an der Realität vorbei. Vor allem wenn man mit Ehrenamtlichen arbeitet, wie dies zum Beispiel „Über den Tellerrand“ tut. Man kann nicht immer vorgeben, wann gewisse Dinge geschehen müssen. Es ist nicht immer leicht, Menschen, die in ihrer Freizeit unentgeltlich Zeit investieren, viele Vorschriften zu machen. Es ist ganz klar: Qualitätsstandards und Werte der Organisation müssen eingehalten werden. Das ist auch bei „Über den Tellerrand“ so. Doch wie jemand eine Begegnungsveranstaltung vorbereitet – ob er einen Flyer macht, Facebook nutzt oder etwas ganz anderes – ebenso wie die Inhalte der Veranstaltung – kochen, picknicken, Fußball spielen, wandern oder tanzen – sowie wie oft sie stattfinden, können individuell vor Ort entschieden werden. Diese Flexibilität der Satelliten, so werden die einzelnen Standorte genannt, ist in standardisierten Monitoring-Prozessen nicht immer abbildbar. Um trotzdem zu gewährleisten, dass vor Ort alles funktioniert und gegebenenfalls Unterstützung zu leisten, ist der regelmäßige persönliche Austausch enorm wichtig. Auch hier geht der „Über den Tellerrand Berlin“ ganz individuell auf die Bedarfe der Satelliten ein und kommuniziert über E-Mail, Telefon, Skype oder WhatsApp. Manche Standorte brauchen viel Austausch und Unterstützung, manche weniger.
Ähnlich ist es bei der Organisation „nestwärme“, die Hilfe für Familien mit chronisch kranken und behinderten Kindern anbietet. Ihr Programm „ZeitSchenken“ wird mittlerweile in mehreren Städten Deutschlands durchgeführt. An 12 Standorten gibt es sogenannte „Nester“, in denen ein bis drei ehrenamtliche Leiter und Leiterinnen das Programm durchführen. Der Verein legt viel Wert auf Transparenz. Daher berichten die Standorte jeden Monat, wie viele Familien sie erreicht haben. Hierzu gehört die Anzahl der Familienpatenschaften (Tandems) und die in den Familien und darüber hinaus geleisteten Ehrenamtsstunden. Die Anzahl der erreichten Familien pro Nest setzt sich vielschichtig zusammen: neben den Familienpatenschaften werden auch die Erstgespräche mit Familien, Anrufe im Nest und in der Zentrale Trier, eingehende Fragebögen über die Onlineformulare und persönliche Kontakte durch unsere Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, sowie Veranstaltungen dokumentiert. Ansonsten setzen auch sie eher auf den persönlichen und individuellen Kontakt, um zu erfahren, wie es vor Ort läuft. Das heißt, sie telefonieren regelmäßig mit ihnen, schreiben E-Mails, WhatsApp-Nachrichten und so weiter.
Sowohl „nestwärme“ als auch „Über den Tellerrand“ arbeiten vor Ort mit Ehrenamtlichen. Aber auch bei hauptamtlichen Strukturen spielt der persönliche Kontakt eine große Rolle. Das zeigt das Beispiel von „Klasse2000“. Bereits seit 1991 führt der Verein ein Programm zur Gesundheitsförderung, Gewalt- und Suchtprävention an Grundschulen durch. Das Besondere: es begleitet die Schüler und Schülerinnen von der ersten bis zur vierten Klasse. Sogenannte Gesundheitsförderer und Gesundheitsförderinnen führen zwei- bis dreimal im Jahr neue Themen ein, die dann von den Lehrern und Lehrerinnen vertieft werden. Gesundheitsförderer und Gesundheitsförderinnen sind überwiegend freiberufliche Honorarkräfte. Sie werden durch Regionalkoordinatorinnen geschult und begleitet. Diese sitzen vor Ort, sind aber bei „Klasse2000“ angestellt. Bedarf es mit mittlerweile 18 Regionalkoordinatorinnen und über 1.300 Gesundheitsförderern und -förderinnen eines ausgeklügelten und standardisierten Prozesses, um die Qualität zu gewährleisten? Nein, auch hier spielt der persönliche Kontakt eine wichtigere Rolle. Es gibt eine Mitarbeiterin in der Zentrale in Nürnberg, die im permanenten Austausch, hauptsächlich über das Telefon, mit den Regionalkoordinatorinnen steht. Diese wiederum sprechen mit den Gesundheitsförderern und –förderinnen, schulen sie und beraten sie auch im Einzelfall. So bleibt die Zentrale immer auf dem Laufenden, was vor Ort passiert. Jährliche Befragungen von Schulleitungen oder Lehrkräften zeigen, dass die Zusammenarbeit mit den Gesundheitsförderinnen und –förderern besonders positiv bewertet wird. In Fällen, wo die Schulen mit der Kooperation unzufrieden sind, können sie sich bei ihrer Regionalkoordinatorin melden, die ggf. gegensteuern kann, sollte die Qualität nicht den Standards von „Klasse2000“ entsprechen.
Die Projektnehmer = Euer Kapital
Diese Art der Zusammenarbeit ist natürlich sehr zeitintensiv, ermöglicht allerdings auch, dass individuell auf die Bedarfe und Wünsche der Projektnehmer eingegangen werden kann. Und das ist gut. Denn: Haben Projektnehmer das Gefühl, sie sind Teil des Programms und nicht nur „Umsetzer für jemand anderes“ erhöht dies die Akzeptanz, Dinge so durchzuführen, wie ihr es vorgebt. Bei allen vorgestellten Organisationen haben die meisten Projektnehmer die Vorgaben tatsächlich übernommen. Sollte es doch einmal Probleme in der Umsetzung geben, kann man dies im persönlichen Gespräch besser und schneller heraushören, als über standardisierte Feedbackbögen oder ähnliches. Hier lässt sich auch viel besser eruieren, ob es den Projektnehmern gut geht. Die Zusammenarbeit mit den Projektnehmern sollte also nicht nur im Zusammenhang mit der Qualitätskontrolle gesehen werden, sondern auch als Unterstützung der Projektnehmer. Geht es Euren Projektnehmern gut und sind diese in der Lage, das Projekt vor Ort durchzuführen (sei dies aufgrund ihrer persönlichen Verfassung oder aufgrund ihres Wissens zur Umsetzung des Projekts), können sie vor Ort eine höhere Wirkung erreichen. Daher ist es wichtig, immer – egal nach welcher Methode ihr verbreitet und welche anderen Instrumente der Qualitätssicherung ihr zusätzlich habt – den persönlichen Kontakt zu fördern. Hilfreich ist es, hierfür einen oder mehrere feste Ansprechpartner zu haben. Projektnehmer sollten wissen, wann sie wen erreichen können. Nehmt euch am besten einen regelmäßigen Termin vor, an dem ihr euch meldet, um nachzuhören, wie es vor Ort läuft. Falls es Probleme gibt, sollte das Intervall natürlich kürzer sein. Aber meldet euch auch bei den Projektnehmern, die gute Arbeit leisten, um ihnen Wertschätzung entgegen zu bringen. Zu beachten ist, dass eine E-Mail hier immer das unpersönlichste Instrument ist. Besser ist es, zu telefonieren, zu skypen oder, wenn möglich, sich persönlich zu sehen, entweder im Rahmen von Vor-Ort-Besuchen oder gemeinsamen Treffen.
Jahrestreffen: Kapazitäten bündeln und den Austausch untereinander fördern
„nestwärme“ reist regelmäßig zu ihren „Nestern“ und jede neue Person an den lokalen Standorten wird zunächst nach Trier in die Zentrale eingeladen. Auch „Über den Tellerrand“ versucht, die „Satelliten“ zu Beginn der Zusammenarbeit zu besuchen. Natürlich ist es ab einer bestimmten Größe nicht möglich, zu jedem einzelnen Projektnehmer zu fahren. Daher ist es eine gute Idee, die persönlichen Treffen zu bündeln. Bei „Über den Tellerrand“ gibt es pro Jahr drei Regionaltreffen sowie ein großes bundesweites Treffen, welches drei bis vier Tage geht, bei dem alle Engagierten eingeladen werden. Allerdings handelt es sich hier um ein Angebot, d.h. die Teilnahme ist nicht verbindlich. Bei „Klasse2000“ werden alle Regionalkoordinatorinnen zweimal im Jahr für zwei Tage nach Nürnberg eingeladen. Ähnlich ist es bei nestwärme. Es finden zweimal im Jahr Teamleiter-Treffen statt und zusätzlich einmal im Jahr ein Bundestreffen.
Diese regelmäßigen Treffen sind wichtig, denn hier könnt ihr Fortbildungen mit dem gemeinsamen Austausch verbinden. Ihr könnt gemeinsam mit euren Projektnehmern Erfolge feiern und auch die Projektnehmer können sich untereinander austauschen und voneinander lernen. „Über den Tellerrand“ konnte feststellen, dass nach diesen Treffen zum einen die Motivation und Aktivitäten der Satelliten steigt und zum anderen der Austausch untereinander. Dieser Austausch läuft dann oft eher informell ab, man tauscht Nummern aus und besucht sich gegenseitig.
Mehr Aufwand zu Beginn spart später Zeit
Wer viel Wert auf den persönlichen Austausch legt, sollte gerade zu Beginn mehr Zeit in die Akquise der Projektnehmer stecken. Denn so wisst ihr, dass ihr die richtigen Projektnehmer habt und der Betreuungsaufwand ist später wahrscheinlich nicht so hoch. Bei „Über den Tellerrand“ gibt es einen recht ausführlichen „Onboarding-Prozess“. Neben einem Erstgespräch gibt es einen Fragebogen, bei dem eruiert wird, ob die Werte übereinstimmen. Wenn dem so ist, wird eine Absichtserklärung unterschrieben. Anschließend durchlaufen alle Projektnehmer eine Schulung. Zu Beginn findet ein regelmäßiger wöchentlicher Kontakt statt und es werden Leitfäden zur Verfügung gestellt. Erst dann erhalten die Satelliten eine eigene E-Mail und sind offiziell „Über den Tellerrand“-Standort. Bei „Klasse2000“ werden die Regionalkoordinatorinnen in der Regel aus den Gesundheitsförderern und -förderinnen rekrutiert. So kennen sie sich, das Programm und die einzelnen Prozesse schon und wurden bereits geschult. Trotzdem werden sie vor Jobantritt noch einmal zwei Tage in die Zentrale nach Nürnberg eingeladen, wo sie alle Abteilungen kennenlernen, einen Überblick über die Abläufe erhalten und erfahren, was von ihnen erwartet wird.
Ein Akquiseprozess, bei dem ihr die Projektnehmer auch persönlich kennenlernt, hilft, zu sehen, ob die Chemie stimmt. Zwar sind auch Kompetenzen wichtig, doch diese können in Schulungen und Fortbildungen angeeignet oder vertieft werden. Werte und Arbeitsethos hingegen lassen sich nicht so leicht ändern. Wie wir an den Beispielen gesehen haben, ist es wichtig, dass diese Werte mit euren übereinstimmen. So kann die Zusammenarbeit auch ohne umfangreiche, standardisierte Qualitätssicherungsinstrumente klappen.
Wie seht ihr das? Habt ihr bereits Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Projektnehmern? Worauf legt ihr Wert? Schreibt uns gerne Eure Meinungen und Erfahrungen.