Mein Konzept, mein Name, mein Logo
Ein Riss geht durch die Kulturlogen. Die Marburger Kulturloge und ein neu gegründeter Bundesverband reklamieren Namen und Logo der Bewegung für sich. Das passt nicht allen Kulturvermittlern. Sie proben den Aufstand und pochen auf ihre Unabhängigkeit.
Die Kulturlogen sind eine großartige Idee. So großartig, dass sich das Modell in wenigen Jahren in ganz Deutschland verbreitet hat. Die Marburger Kulturjournalistin Christine Krauskopf erinnert sich genau, wie ihr am 22.12.2008 die Idee kam, auch denjenigen Menschen die Teilhabe am kulturellen Leben zu ermöglichen, die über wenig Geld verfügen. Eine Kulturloge kooperiert mit Theatern, Opern, Museen und anderen Kultureinrichtungen und übernimmt Kartenkontingente, die nicht verkauft wurden. In persönlichen Telefongesprächen bieten freiwillige Helfer diese Plätze den registrierten Gästen der Kulturloge an. Die Karten sind an der Abendkasse auf ihren Namen hinterlegt, sie müssen keine Bedürftigkeit nachweisen. Die Gäste erobern sich einen Raum zurück und erleben sich als Teil der Gesellschaft.
Von Marburg nach Berlin
Was zunächst als Weihnachtsaktion im hessischen Marburg geplant war, wurde schnell zum dauerhaften Projekt ausgebaut. In der Konzeptionsphase lernte Christine Krauskopf zufällig auf einer Veranstaltung von startsocial, einem Businessplanwettbewerb, Angela Meyenburg aus Berlin kennen. Die gelernte Personal- und Kommunikationsberaterin war gleich vom erfolgreichen Start der Kulturloge in Marburg infiziert und dachte: „Wenn das Konzept in Marburg aufgeht, dann in Berlin erst recht, wo Kultur- und Hartz-IV-Hauptstadt aufeinandertreffen.“ Trotz der mangelnden Kooperationsbereitschaft vonseiten des Senats, der Verwaltung und der subventionierten Kulturinstitutionen hat Berlin inzwischen die größte Kulturloge Deutschlands: Jeden Monat werden 2.000 Kulturplätze von 70 Freiwilligen vermittelt, 6.000 Gäste sind in der Datenbank registriert (davon über die Hälfte sogenannte Bildungsferne), 170 Kulturinstitutionen sind zu festen Partnern geworden. Mit der Ideengeberin Christine Krauskopf besteht noch immer ein enger Austausch – aber nicht mit der Marburger Kulturloge.
Mein Konzept, mein Name, mein Logo
Denn inzwischen ist Christine Krauskopf nicht mehr im Vorstand der Marburger Kulturloge. Krauskopf sah sich ausgebootet und stellte sich ein anderes, offeneres Verbreitungskonzept als die Marburger Vorsitzende vor: „Frau Rektorschek möchte nicht, dass das Konzept Kulturloge weiterentwickelt wird. Es ist eine Form von Arroganz zu sagen, dass unser ursprüngliches Konzept in Stein gemeißelt ist und nicht verbessert werden kann. Inzwischen wissen wir, dass nicht alle Leitlinien auf jede Stadt übertragbar sind!“ Dieses Konzept reklamiert Hilde Rektorschek für sich und möchte es zur Grundlage der weiteren Verbreitung der Kulturlogen machen. Dazu dient der von ihr mitgegründete Bundesverband. Neue Kulturlogen werden aufgefordert, die Leitlinien des Bundesverbandes mitzutragen, dann dürfen sie Namen und Logo verwenden. Einige Logen haben sich offiziell lizenzieren lassen und erhalten so zusätzlich eine Software, die für die Vermittlungsarbeit notwendig ist, sowie Vorlagen und andere Handreichungen.
Einflussnahme unerwünscht
Nicht alle Kulturlogen aber sind bereit, sich lizenzieren zu lassen. Etablierte Kulturvermittler, wie die Berliner Kulturloge, sind nicht mit den Leitlinien einverstanden. Die Geister scheiden sich an der Frage, ob Gäste einmalig der Kulturloge gegenüber die Bedürftigkeit nachweisen oder sich ausschließlich über soziale Einrichtungen, wie Tafeln, anmelden sollen. Strittig ist darüber hinaus, ob Gäste, die mehrmals Angebote angenommen, dann aber nicht besucht haben, ausgeschlossen werden dürfen. Grundsätzlich erkennen die Berliner den Bundesverband als Dachorganisation nicht an, er wird als Veranstaltung der Marburger Kulturloge angesehen. Die Hamburger Kulturloge hat ebenso wie die Berliner oder die an der Ruhr von der Kulturloge Marburg Abmahnungen erhalten, die die Verwendung von Namen und Logo untersagen. Der Bundesverband Deutscher Kulturlogen e. V. assistiert: „Das mit mehreren großen Auszeichnungen versehene und zertifizierte Konzept der ‚Kulturloge‘ und das dazugehörige Logo stehen als Qualitätssiegel für deren Leistung. Der Bundesverband Deutsche Kulturloge e. V. möchte sicherstellen, dass das auch so bleibt! … [Der] Bundesverband [wird] mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, auf den Schutz dieser Marke hinwirken, um Klarheit und Transparenz zu gewähren.“
Oder wie es die Bundesvorsitzende formuliert: „Ich möchte gerne mit Menschen zusammenarbeiten, die dieses einzigartige Konzept verstehen.“ Monika Eberl, Mitbegründerin des Münchner Kulturraums, ging dieser Geltungsanspruch von Anfang an gegen den Strich. Sie kam durch einen Zeitungsartikel über die Berliner Kulturloge auf die Idee, ein ähnliches Angebot in München aufzusetzen. Der Transfer fand in direkter Verbindung München–Berlin statt – selbstbestimmt, auf Augenhöhe, kooperativ. Dort orientiert man sich an den Prinzipien, die die Ideengeberin Christine Krauskopf formuliert hat. Darüber hinaus wollte man sich nicht bei Namensgebung und Design hineinreden lassen. Um Abmahnungen aus Marburg aus dem Weg zu gehen, nannte man sich deshalb „Kulturraum München“. Eberl: „Für die Idee wäre es jedoch schön gewesen, sich in ganz Deutschland mit einem Namen zu präsentieren.“ Aber nicht zu dem Preis, seine Unabhängigkeit abzugeben. „Wir investieren hier unsere Freizeit – ich möchte keine Energien damit verschwenden, mich mit jemandem über Markenrecht auseinanderzusetzen.“
Beinfreiheit für die regionale Anpassung
Auch Angela Meyenburg von der Berliner Kulturloge pocht auf die Beinfreiheit, ohne die eine Organisation wie die Kulturloge vor Ort nicht erfolgreich sein kann: „Die Vereinssatzungen sind nicht von einem Bundesland zum anderen übertragbar. Wir haben in Sachen Finanzierungsmöglichkeiten ganz andere Bedingungen, die Kooperationsbereitschaft ist ganz unterschiedlich ausgeprägt. Die reine Lehre aus Marburg funktioniert in einer Großstadt wie Berlin nicht.“ Die Kulturloge Berlin setzt darüber hinaus eigene inhaltliche Schwerpunkte. Ein Inklusionsprojekt will Gäste und Freiwillige mit Behinderung gewinnen. Das Gleiche gilt für die Öffnung in Richtung Migranten mit den damit verbundenen sprachlichen Herausforderungen. Die nicht lizenzierten Kulturlogen, Kulturdrehscheiben, Kulturpforten und Kulturlisten haben im vergangenen Herbst eine informelle bundesweite Arbeitsgemeinschaft gegründet. Man formulierte gemeinsam Leitlinien für das Arbeiten der niedrigschwelligen Kulturanbieter.
Eines der Ziele der Arbeitsgemeinschaft ist es, bei der Verbreitung der Idee – konkret, der Gründung neuer Logen – zu helfen. Dazu wurden in Berlin und in der Kulturloge Ruhr zwei Mitarbeiterinnen abgestellt. Ein Online-Forum bietet zusätzlich die Möglichkeit, sich auszutauschen und zahlreiche Leitfäden, Vorlagen und Handreichungen herunterzuladen. Das funktioniert ohne Overhead und Hierarchien. Meyenburg: „Wir wollen explizit keinen Hauptamtlichen-Apparat, der hat nicht die Dynamik und das Tempo, das wir von unseren engagierten Freiwilligen kennen.“ Christine Krauskopf ist inzwischen in der Kulturloge Herborn – Dillenburg – Haiger aktiv, die bald in der Kulturloge Lahn-Dill-Kreis aufgehen wird. Noch haben sie keine Abmahnung aus Marburg erhalten: „Das sollen sie sich erst einmal trauen“, gibt sich Krauskopf kämpferisch. Monika Eberl vom Kulturraum München ist sich sicher – und das ist ganz in Richtung Marburg gerichtet: „Man muss eine Idee auch loslassen können.“
www.kulturlogen-deutschland.de
www.kulturloge-berlin.de
www.kulturloge-marburg.de
Update 14.7.2015: Um die andauernden Streitigkeiten über die Nutzung des Namens „Kulturloge“ zu beenden, hat die Kulturloge Berlin eine gerichtliche Entscheidung herbeigeführt – mit dem Ergebnis, dass sie ihren Namen nicht weiter führen darf. Es fand deshalb eine Umbenennung in „KulturLeben Berlin e.V.“ statt. Alle Aktivitäten werden in gewohnter Weise fortgeführt.
Dieser Text steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht Kommerziell-Keine Bearbeitung 3.0 Unported Lizenz.
Zur Abrundung und Ergänzung des Artikels vom März 26, 2013 folgende Anmerkungen:
Mein Konzept, mein Name, mein Logo, dieses Thema wurde von den Akteuren der ehemaligen sog. Kulturloge-Berlin in den Mittelpunkt ihrer Öffentlichkeitsarbeit gestellt. Es war für sie von größter Bedeutung und gipfelte darin, dass der o.g. Verein am 7.5.2014 gegen den Bundesverband Deutsche Kulturloge e.V. und deren Vorsitzende Klage erhoben hat. Das Urteil:
„Das Landgericht Berlin verkündete am 11.06.2015, dass die Kläger vom Vorstand der Kulturloge Berlin zu unterlassen haben, im gesellschaftlichen Verkehr in der Europäischen Union das Kennzeichen „Kulturloge“ zu führen.“
Die Klägerin, Frau Meyenburg aus Berlin hat die Kulturloge Marburg bei einer Stiftungsmesse in Berlin kennengelernt und seit dieser Zeit den Namen „KULTURLOGE Berlin“ für sich in Anspruch genommen. Sie behauptet in der Öffentlichkeit, dass sie die erste bundesweite Kulturloge mit der Ideengeberin zusammen gegründet habe. Die Idee, der Name und das Konzept wurden nachweislich in Marburg geprägt und entwickelt.
Das rechtskräftige Urteil weist keinen Formfehler nach, es ist sehr eindeutig und die Kosten, die die Klägerin bzw. ihre Spender zu tragen haben sind nicht unerheblich.
Das Urteil macht nun den Weg frei für eine weitere bundesweite Verbreitung der Kulturlogen. 30 Kulturlogen haben sich dem Bundesverband inzwischen angeschlossen und handeln sehr bewusst nach den Grundsätzen „behutsam, würdevoll und nachhaltig“. Sie stellen ihre Kulturgäste mit ihren Interessen und Wünschen in den Mittelpunkt -keine Sanktionen, keine bürokratische Hürden.
Der Vorstand Bundesverband Deutsche Kulturloge e.V. http://www.kulturloge.de