Nachtschicht“ – wie ein Kreativ-Marathon die Runde macht
Das Engagement-Format „Nachtschicht“ bringt Kreativ-Profis mit Non-Profits zusammen. In acht kompakten Stunden setzen diese gemeinsam konkrete Projekte um. Was in den Niederlanden begann, begeistert auch in Deutschland immer mehr Organisationen.
Am 4. April 2019 war es soweit. Rund 25 Kreative aus Halle (Saale) wollten eine „Nachtschicht“ einlegen, um gemeinnützigen Organisationen aus der Stadt unter die Arme zu greifen. Und zwar mit dem, was sie am besten können: Ideen weiterdenken, Konzepte schmieden, kreative Umsetzungen finden. Gearbeitet wird nicht für die Schublade, sondern für eine direkte Verwertbarkeit der Ergebnisse. Im Vorfeld hatten sich 33 Non-Profits mit konkreten Projektaufgaben beworben. Am Ende wurden fünf ausgewählt und mit drei bis sechs Kreativen gematcht, darunter Texter:innen, Grafiker:innen oder Konzepter:innen. Ein lokales Bauunternehmen stellte Räume und die benötigte technische Infrastruktur zur Verfügung. Über den Dächern der Stadt fiel um 18 Uhr der Startschuss für den Kreativmarathon.
Von den Niederlanden nach Berlin
Dass die „Nachtschicht“ derzeit immer mehr Anhänger:innen in Deutschland findet, geht auf das gemeinnützige CSR-Netzwerk UPJ zurück. UPJ setzt sich seit 1996 dafür ein, Unternehmensengagement in Deutschland zu fördern. Während einer Studienfahrt in die Niederlande ist UPJ dem Veranstaltungsformat begegnet – anschließend wurde in Berlin der Versuch gestartet, Kreative mit Non-Profits für eine Nacht zusammenzubringen. Das UPJ-Team zog ebenso mit wie die Kommunikationsagentur Omnis (damals Camici) sowie die Kongressagentur pcma. „Die ‚Nachtschicht‘ war 2014 ein echtes Experiment. Das Grundprinzip für uns als Vorbereitungs-Komitee: Jeder Partner bringt seine Expertise, seine Ressourcen und Netzwerke ein“, erinnert sich Reinhard Lang, Co-Geschäftsführer von UPJ. Das heißt, die Agenturpartner nutzen ihre Kontakte in der Kreativ-Szene und UPJ bildete den Link in den Nonprofit-Bereich, hinzu kam die Organisations-Kompetenz von pcma, später komplettierten die Kommunikationsprofis von der „Kombüse“ das Team.
Hallenser Netzwerk
Ein besonderer Vorteil beim Organisieren der ersten „Nachtschicht“ in Halle war es, dass bereits ein Netzwerk bestand, das sich hervorragend für das Kreativ-Format eignete: Die Mitglieder des OpenLabNet haben die gemeinsame Vision, Infrastrukturen, Räume und Kompetenzen zu teilen und so gemeinsam mehr zu erreichen. Mit dabei sind unter anderem die Freiwilligen-Agentur Halle-Saalkreis, das Designhaus Halle, die IHK, das Mitteldeutsche Multimediazentrum, die Kunsthochschule Burg Giebichenstein, das Fraunhofer-Institut IMWS, der Makerspace „Eigenbaukombinat“, der Gründerservice der Universität … Zugänge zur Kreativwirtschaft waren also ebenso vorhanden wie in den Non-Profit-Bereich. Die Freiwilligenagentur war es, die die Idee von der „Nachtschicht“ aus dem UPJ-Netzwerk nach Halle brachte und schnell die übrigen Mitglieder des OpenLabNet überzeugte. Ein fünfköpfiges Organisationsteam traf sich ab September 2018 regelmäßig und plante das Event, das den lokalspezifischen Titel „nAchtschicht Halle – Acht Stunden für den guten Zweck“ bekam.
Offene Verbreitung
Die „Nachtschicht“ wird von UPJ mit einer entspannten Haltung weitergegeben. Einziges K.O.-Kriterium – will man Konzept und Namen übernehmen – ist eine kommerzielle Nutzung des Formats. Das heißt, es gibt keine Social-Franchise-Verträge und umfangreiche Qualitätskontrollen. Vielmehr steht das UPJ-Team für die typischen Fragen bei der Vorbereitung einer „Nachtschicht“ zur Verfügung und versteht sich als eine Art Help Desk. Wichtiges Tool für die Skalierung ist das aufwendig gestaltete 33-seitige Handbuch, das die meisten Fragen rund um das Organisieren einer „Nachtschicht“ beantwortet. Darüber hinaus gibt es eine komplette Event-Website, die regionale Nachtschicht-Organisator:innen übernehmen und anpassen können.
Mehr noch: UPJ tourt mit einem Workshop-Format durchs Land und macht Werbung für Unternehmensengagement à la „Nachtschicht“. Reinhard Lang: „Die ‚Nachtschicht‘ kann man in ganz unterschiedlichen Größen aufziehen. Man kann also auch ganz klein beginnen: Die Gruppe in Maintal etwa unterstützt pro Durchgang 3-4 Non-Profits.“
Stolperstricke
Und doch gibt es den einen oder anderen kniffligen Teil bei der Organisation einer „Nachtschicht“. Reinhard Lang: „Das beginnt mit dem Aufwand für die Koordination. Da haben wir uns anfangs verschätzt – gerade wenn die eigenen Qualitätsansprüche hoch sind, schrecken manche Organisatoren doch erstmal zurück. Die Kolleg:innen in den Niederlanden sind da entspannter.“ Eine weitere Herausforderung: Organisationen mit spannenden und unterschiedlichen Aufgaben zu finden, die sich für das Nacht-Format eignen, also in acht kompakten Stunden tatsächlich die Zielgerade erreichen und das entstandene Produkt direkt im Alltag einsetzen.
Am Ende waren alle am Ende
Gegen halb zwei in der Nacht präsentierten die fünf Hallenser Teams erschöpft, aber glücklich die Ergebnisse ihres achtstündigen Kreativmarathons: Das Peißnitzhaus hatte eine – fast fertige – neue Homepage, das Projekt Astrolinos bekam ein Veranstaltungsplakat, ein Logo gab es für das Lastenradprojekt „Halle-Lore“, das Reisefestival „Dialle“ ging mit einem überarbeiteten Konzept aus der „Nachtschicht“ und die Marke „Gründerberg“ wurde ins Leben gerufen. Beseelt vom Erfolg des ersten Kreativ-Marathons in Halle vereinbarten die Organisatoren bereits eine Neuauflage für 2020.
Fünf Jahre nach der ersten „Nachtschicht“ in Deutschland ist das Engagement-Format auf einem guten Weg, allgemein bekannt zu werden und Jahr für Jahr mehr Menschen zu erreichen. Wer Interesse hat, das Format selbst umzusetzen, findet bei UPJ alle wichtigen Informationen.
Weitere Engagement-Angebote des UPJ-Netzwerks
„Gute Geschäfte“ bringt Unternehmen und gemeinnützige Organisationen aus einer Stadt für zwei Stunden für eine ungewöhnliche Begegnung zusammen. Wie auf einem Markt treffen hier Angebot und Nachfrage aufeinander, und es werden gemeinsame Projekte vereinbart. Den Formen des Engagements sind dabei keine Grenzen gesetzt, nur Geld ist tabu. In mehr als 120 Kommunen wurden mit der Marktplatz-Methode bereits über 30.000 Gute Geschäfte für das Gemeinwesen verwirklicht.
UPJ vermittelt zudem pro bono Anwält:innen an Nonprofit-Organisationen, die rechtlichen Herausforderungen gegenüberstehen: etwa, wenn Verträge sicher gestaltet werden sollen, der Umgang mit Bildrechten unklar ist oder die richtige Rechtsform gefunden werden soll. Rund 140 Rechtsexpert:innen kann das Corporate-Volunteering-Netzwerk vermitteln.
Fotos: Freiwilligen-Agentur Halle