Robert Bosch Stiftung: (Mehr) Soziale Wirkung durch Digitalisierung

Dr. Thomas Leppert und Michael von Winning, Robert Bosch Stiftung, auf dem openTransfer CAMP #Digitalisierung am 20. April 2018 in Stuttgart

Welche Kerntätigkeiten funktionieren bereits digital, welche wollen wir noch digitalisieren und wo findet Digitalisierung ihre Grenzen? Die Sessiongeber fragten die Sessionteilnehmenden nach guter Praxis und guten Plänen.

Thomas Leppert eröffnete die Session mit einer persönlichen Beobachtung der Zivilgesellschaft im Umgang mit der Digitalisierung. Viele Akteure seien sehr auf die (Management-)Prozesse fokussiert und um die Lösung folgender Fragestellungen bemüht: Wie kann ich mit meinen Mitgliedern besser kommunizieren? Wie kann ich digitale Tools nutzen, um intern besser oder schneller zu kommunizieren? Wie kann ich meine Prozesse verschlanken? Wie setze ich Social Media ein, um mein Anliegen zu verbreiten? Welche Chancen bietet die Digitalisierung für die Organisation von Fundraising?

Diese Entwicklung sei begrüßenswert, doch damit stünden vor allem die eigentlich randständigen Prozesse im Fokus, weniger die Kerntätigkeiten einer sozialen Organisation, nämlich eine soziale Wirkung zu entfalten. Diese blieben häufig nach wie vor analog. Als Beispiel nannte Thomas Leppert das Bewerbungsverfahren bei der Robert Bosch Stiftung. Zwar nutze die Stiftung Facebook, Twitter und andere Kanäle für die Öffentlichkeitsarbeit, der Prozess rund um die Projektanträge, der Auswahlprozess, entsprechende Gespräche fänden jedoch größtenteils analog statt.

Ein Mann steht vor einer kleinen Menschenrunde und spricht.

„Im Idealfall ergänzen oder ersetzen digitale Instrumente analoge Praktiken auch im direkten Kerngeschäft und tragen so zu mehr sozialer Wirkung bei. Geht das? Wo macht das Sinn?“

Die Sessiongeber interessierte, ob es in der Runde Ideen für ehemals analoge (Kern-)Tätigkeiten sozialer Organisationen gebe, die jetzt digital sind. Eine Teilnehmerin kam auf die Online-Petition zu sprechen. Der analoge Prozess des Unterschriftensammelns in der Fußgängerzone, der nur mit vielen Freiwillige funktioniere, die mit Unterschriftenlisten bewaffnet, „Leute anquatschen“, sei über die Online-Petition einfacher geworden. Nicht nur der organisatorische Aufwand sei gesunken, sondern auch die Möglichkeiten, Unterstützerinnen und Unterstützer zu finden seien vielfältiger. Sebastian Schütz, selbst Campaigner bei Change.org, kam vor allem auf die Erreichbarkeit aller Unterzeichnerinnen und Unterstützer via E-Mail zu sprechen. Anders als bei den Papierlisten, könne man bei der Online-Petition eine Nachricht an alle Unterstützerinnen und Unterstützer senden und sie zum Beispiel bitten, einen Inhalt auf Social Media weiterzuverbreiten, Abgeordnete anzurufen oder die Kampagne mit einer Spende zu unterstützen. Eine weitere Teilnehmerin stellt sich die Frage, ob die Digitalisierung der Petition auch Nachteile bringe – Stichwort: Clicktivism. Eine andere brachte die aus ihrer Sicht wichtigen Vorteile ins Spiel: So könne man heute sehr viel schneller und lauter Protest organisieren, als mit einer Unterschriftensammlung, bei der man erst Freiwillige für das Sammeln von Unterschriften begeistern müsse. Ferner sei das schnelle Aufsetzen und die einfache Verbreitung über Social Media ein wichtiger Wert. Als Beispiel nannte sie die Kampagne gegen das Bayerische Psychiatriegesetz, die kurz nach der Veröffentlichung des Entwurfs rasante Unterstützung fand, medial aufgegriffen wurde und schlussendlich binnen kürzester Zeit einen wichtigen Erfolg verzeichnen konnte.

Im weiteren Verlauf der Session kamen die Teilnehmenden mit Blick auf die Digitalisierung immer wieder auf Themenfelder wie interne Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit zu sprechen. Viele hoben hervor, wie digitale Tools die Arbeit im Projekt vereinfacht habe und man über das Netz Freiwillige, Spenderinnen und Spender und eine interessierte Öffentlichkeit in ganz Deutschland erreicht habe.

„Wo seid ihr noch sehr analog?“

Um wieder die Frage nach den Kerntätigkeiten in den Vordergrund zu rücken, fragte Thomas Leppert in die Runde: „Wofür macht ihr Öffentlichkeitsarbeit? Wo seid ihr noch sehr analog?“

In den ersten Wortbeiträgen wurde deutlich, dass es vor allem um Veranstaltungsformate ging, bei denen Menschen aufeinander treffen. Diese würden im Vorfeld über soziale Netzwerke beworben und beispielsweise über Facebook Live, Periskope oder andere Dienste übertragen, sodass über die physische Teilnahme vor Ort hinaus, viele weitere Menschen die Veranstaltungen verfolgen könnten. Eine Teilnehmerin hob hervor, wie wichtig und zentral der persönliche Kontakt zu Teilnehmenden ihrer Programme sei. Auch bei youngcaritas seien diese Aspekte sehr zentral, warf Nadja Wenger ein. Dennoch sei es für die Organisation wichtig, Engagement neu zu denken, digitale Mittel zu nutzen und zu versuchen, neue zivilgesellschaftliche Freiräume zu schaffen. Sie berichtet von einem „Instawalk“. Bei diesem Format führten Menschen mit Behinderung interessierte Teilnehmende durch Stuttgart, zeigten spannende Details zu historischen und aktuellen Orten. Die Führung konnte man über den Instagram-Kanal @youngcaritas_Stuttgart mitverfolgen. Dieser Perspektivwechsel gelang also nicht nur offline, sondern auch online. Die Begleitung via Instagram ging über klassische Öffentlichkeitsarbeit hinaus.

Kann künstliche Intelligenz persönliche Beratung ersetzen?
Sebastian Schütz berichtete von modernen Engagement-Plattformen, wie vostel und youvo.org, die große Teile ihrer Ehrenamtsvermittlung digitalisiert haben. So lief die Ausschreibung und Vermittlung bei youvo anfangs weitgehend manuell. Viel Zeit wurde in die individuelle Beratung und Betreuung gesteckt. Um mehr Projekte vermitteln und abschließen zu können, investierte man dort in die Automatisierung der Vermittlung und webte zahlreiche beratende Elemente an passenden Punkten und immer wiederkehrende Fragen in die User Journey für soziale Organisationen auf der Plattform ein. So konnte die Zahl der vermittelten Projekte pro Jahr verdoppelt werden. Weitere Beispiele seien die Mentoren-Programme von volunteer vision, wo die Beratung über Videocalls erfolge oder das psycho-soziale Online-Beratungsprogramm von ipso e-care.

Die Frage, wie sich Beratung digitalisieren lässt, insbesondere der Wissenstransfer, der dadurch angestoßen werde, interessierte die Gruppe. Könnten Chat-Bots unter dem Einsatz künstlicher Intelligenz eine komplexe Schuldner- oder Rechtsberatung durchführen? Thomas Leppert berichtet zum Abschluss der Session von seinem ehrenamtlichen Projekt Heldenrat. Dort berate man zahlreiche soziale Projekte strategisch und gebe wertvolle Starthilfe. Häufig sei man dabei mit Fragen zum Aufbau einer Organisation konfrontiert. Was ist eigentlich die richtige Rechtsform für unsere Initiative? Was ist das eigentlich „Gemeinnützigkeit“, was muss ich tun, um diese zu erlangen? Häufig käme den ehrenamtlichen Beraterinnen und Beratern deshalb ein Chatbot in den Sinn, der diese oft wiederkehrenden Fragen beantwortet und je nach Situation die richtigen Fragen stellt.

Möchte man überhaupt alles digitalisieren?

Zum Abschluss stand jedoch die Frage im Raum, ob sich Kerntätigkeiten überhaupt digitalisieren lassen. Für viele Organisationen sind physische Begegnungen, Empathie und ein soziales Miteinander schlicht nicht ersetzbar.

Foto: Henning Schacht

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