Teach First Deutschland: Ideenimport mit Leidenschaft

Wie gelingt es, eine gute soziale Innovation aus dem Ausland in Deutschland umzusetzen? Teach First Deutschland ist ein aufschlussreiches Beispiel für die Herausforderungen bei einem solchen Transfer. Das Beispiel zeigt: Neben guter Vorbereitung erfordert ein solcher Transfer viel Ausdauer und Leidenschaft.

 

Mehr Bildungsgerechtigkeit durch Einsatz von Top-Uni-Absolventen an Schulen in sozialen Brennpunkten: Diese Idee verfolgte Wendy Kopp mit der Gründung von Teach for America im Jahr 1990. Aus dem Start-up wurde ein Sozialunternehmen mit derzeit über 1.500 Mitarbeitern und einem Budget von knapp 240 Millionen US-Dollar, das pro Jahr ca. 6.000 neue Fellows an amerikanischen Schulen einsetzt. Diese unterstützen die regulären Lehrkräfte und kümmern sich individuell um die Schüler, die besonders stark von Bildungsungerechtigkeit betroffen sind. Während ihres zweijährigen Einsatzes tragen die Fellows mittelfristig zur Verbesserung der Leistungen ihrer Schüler bei. Langfristig setzen sie sich an Schaltstellen der Wirtschaft, Wissenschaft und Politik als Botschafter für Bildungsgerechtigkeit ein. Die Wirksamkeit des Konzepts belegen zahlreiche Studien, Absolventen bester amerikanischer Unis reißen sich um die Teilnahme am Programm.

Transfer nach Deutschland

Die Idee begeisterte 2006 Kaija Landsberg und Michael Okrob, damals Studenten an der Berliner Hertie School of Governance. In ihrer Masterarbeit gingen sie der Frage nach, ob sich das Programm in Deutschland umsetzen ließe. Unterstützt durch Arist von Hehn, Berater bei McKinsey, untersuchten sie die Bereiche der deutschen Bildungslandschaft, die für einen Transfer entscheidend sein würden: die Nachfrage, das Wettbewerbsumfeld sowie die politische und rechtliche Lage. Sie unternahmen auch eine einwöchige Reise in die USA, um mit Wendy Kopp und ihren Mitstreitern Detailwissen zu den einzelnen Unternehmensbausteinen zu erarbeiten. Fazit: Das Grundkonzept ist auf Deutschland übertragbar und kann auch hier wirksam sein.

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Sie gingen über zur Umsetzung. Das Gründungsteam umfasste nun fünf Personen und erhielt im Dezember 2007 eine Anschubfinanzierung von der Hertie-Stiftung. Die Umsetzung sollte aus drei parallel laufenden Bausteinen bestehen:

-Rekrutierung von Fellows

-Sicherstellung der Finanzierung für die Ausbildung der Fellows, deren Gehälter sowie Gehälter des Gründungsteams

-Gewinnung von Partnern an Schulen und relevanten Behörden

Bereits in der Anfangsphase wurde klar, dass die Voraussetzungen in Deutschland und den USA sehr unterschiedlich sind. So verstanden Fellows in angelsächsischen Ländern ihre Arbeit für die dortigen Schwesterorganisationen als Teil ihres gesellschaftlichen Engagements. In Deutschland dagegen musste diese Motivationsquelle durch eine stärkere Betonung der Karrierevorteile des Programms ergänzt werden. In puncto Finanzierung konnten angelsächsische Organisationen auf großzügige Unterstützung durch individuelle Philanthropen zählen. In Deutschland stand diese Finanzierungsquelle weitestgehend nicht zur Verfügung. Schließlich erwiesen sich Kontakte mit der Verwaltung als Herausforderung, nicht zuletzt aufgrund der dortigen Vorbehalte gegenüber einem aus dem Ausland „importierten“ Konzept.

Hinzu kam, dass das Team sämtliche begleitenden Prozesse (bspw. beim CRM-System oder Fundraising) selbst aufbaute. Dies erforderte Zeit und Ressourcen, die für die Kernaufgaben dann nicht zur Verfügung standen.

Die größte Umsetzungshürde war jedoch das Zusammenspiel der Bausteine. So machten Geldgeber ihre Unterstützung von der Zustimmung der Behörden und Rekrutierung der Fellows abhängig. Oder umgekehrt machten Behörden ihre Zustimmung davon abhängig, dass die Fellows rekrutiert sind und die Finanzierung steht. Dadurch geriet die Umsetzung ins Stocken und im Juni 2008 stand das Projekt vor dem Aus.

Der Durchbruch kam zwei Monate später. Die Vodafone-Stiftung gab grünes Licht für die Finanzierung der Gehälter des Gründungsteams. Gleichzeitig bestätigten namhafte Unternehmen wie Deutsche Post, Lufthansa und McKinsey ihre Unterstützung für die Ausbildung der Fellows und stellten ihnen Karrierechancen nach Beendigung des Programms in Aussicht. Schließlich erklärte sich die Berliner Senatsverwaltung bereit, das Programm zu starten und die Gehälter der Berliner Fellows bereitzustellen. Teach First Deutschland wurde aus der Taufe gehoben.

Bis das Programm startete, verging dennoch ein weiteres Jahr. Das Programm wurde mithilfe neuer Partner weiter optimiert. Die 70 Fellows des ersten Jahrgangs mussten aus 700 Bewerbungen ausgewählt und auf ihren Einsatz vorbereitet werden. Auch musste entschieden werden, an welchen der 140 interessierten Schulen man die Fellows einsetzen möchte. Letztendlich startete Teach First Deutschland im Herbst 2009 in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Hamburg.

Das weitere Wachstum erfolgte organisch durch Aufbau von Regionalbüros in einzelnen Bundesländern: Zu den drei ursprünglichen Bundesländern kamen Baden-Württemberg und Thüringen hinzu. Hilfreich für den Wachstumsprozess war eine 2011 abgeschlossene Evaluierung durch Prof. Dolasse (Uni Bielefeld), die dem Ansatz eine positive Wirkung bescheinigte.

Teach for All

Die Erfahrungen des Teams in Deutschland kommen inzwischen auch Sozialunternehmern in anderen Ländern zugute. Seit September 2007 ist Teach First Deutschland Mitglied von Teach for All, einem globalen Netzwerk ähnlicher Initiativen. Teach for All stellt interessierten internationalen Sozialunternehmern Wissen zu einzelnen Bausteinen des Programms sowie regionale Expertise zur Verfügung und bietet die Möglichkeit, sich mit anderen Länderteams zu vernetzen. Trotz dieser Unterstützung bleiben die Initiativen unabhängig voneinander. Die Mitgliedschaft ist kostenlos, erfolgt auf Nachfrage der Sozialunternehmen und erfordert lediglich die Verpflichtung zur Arbeit nach einer gemeinsamen Vision und den Organisationsprinzipien. Nicht zuletzt dank der Leistungen von Teach for All wurde die Teach-First-Idee bislang in knapp 30 Ländern umgesetzt.

Learnings

Das Beispiel Teach First Deutschland zeigt, dass es trotz umfassender vorbereitenden Analyse beim „Import“ eines Sozialunternehmens zu Schwierigkeiten kommen kann. Bei der konkreten Adaption muss flexibel auf die unterschiedlichen Bedingungen in Sachen Finanzierung, Kultur, rechtlicher Grundlagen und Verwaltungshandeln reagiert werden.

Für die Umsetzung selbst lässt sich eine Reihe von praktischen Hinweisen ableiten. So scheint es wichtig zu bedenken, auf welche Art und Weise geplante Umsetzungsaktivitäten (im Fall von Teach First: Rekrutierung von Fellows, Sicherung der Finanzierung, Partnerakquise) zusammenhängen und in welcher Reihenfolge sie durchgeführt werden sollen. Auch ist es einer Überlegung wert, sich zur Abwicklung begleitender Prozesse an eine bestehende Organisation „anzudocken“ um dadurch Zeit und Geld zu sparen. Darüber hinaus scheint es sich zu lohnen, Wirkungsevaluierung bereits zu einem frühen Zeitpunkt durchzuführen.

Teach for All ist ein Beispiel für ein intelligentes Modell globaler Skalierung. Gerade in einem politisch so sensiblen Bereich wie Bildung ist der Ansatz sinnvoll, am Transfer interessierte Sozialunternehmen strikt nachfrageorientiert zu unterstützen, anstatt aktiv in neue Länder zu expandieren. Die Tatsache, dass Leistungen kostenlos zur Verfügung gestellt werden, trägt darüber hinaus zu einem vertrauensvollen Austausch unter den Initiativen bei. Nicht zuletzt dadurch hat Teach for All das Potenzial, weltweit zur nachhaltigen Verbesserung der Bildungsgerechtigkeit beizutragen.

http://www.teachfirst.de/

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