Universität Kassel: Quasi-Schule für Flüchtlingskinder
Dr. Norbert Kruse, Steffen Sack, Laura Pöttgen, Jana Barbara und Valentina Kowalsky von der Universität Kassel beim openTransfer CAMP am 18.02.2017 in Kassel
Geflüchtete Kinder und Jugendliche in Erstaufnahmeeinrichtungen auf schulische Strukturen und Abläufe vorbereiten: Das ist die Idee der „Quasi-Schule“, die Studierende der Universität Kassel eingerichtet haben. Die Studierenden berichten von den Herausforderungen und Erfolgen.
Im November 2016 startete das gemeinsame Bildungsprojekt der Universität Kassel und der Erstaufnahmeeinrichtung in Kassel-Niederzwehren. Die Räumlichkeiten ähneln denen einer normalen Schule. Es gibt einen Klassenraum, ein Lehrerzimmer und Unterrichtsmaterialien. Bei der Quasi-Schule handelt es sich jedoch nicht um eine Regelschule. Denn bei Kindern und Jugendlichen in der Erstaufnahmeeinrichtung in Hessen, die sich noch im Asylverfahren befinden, greift die gesetzliche Schulpflicht nicht automatisch. Im Zuge der Klärung des Aufenthaltsstatus sind die Flüchtlingskinder zum Teil ein halbes Jahr in der Erstaufnahme, bevor sie mit Ankunft in der Zweitaufnahme die Regelschule besuchen können.
Dieser lange Zeitraum war für Dr. Norbert Kruse, Leiter des Fachgebiets Primarstufendidaktik an der Uni Kassel, nicht hinnehmbar. Gemeinsam mit Studierenden gründete er die Quasi-Schule, in der die Kinder bis zum Übergang in die Regelschule eine Persönlichkeit als Schulkind entwickeln und die Grundlagen des Schriftspracherwerbs erwerben sollen.
Win-Win-Situation für Studierende und Kinder
Die Studierenden können durch das Projekt universitäres lernen mit praktischer Erfahrung und sozialem Engagement verbinden: ein Angebot, das viele Studierende gerne annehmen. Mittlerweile unterrichten rund 60 Lehramtsstudierende und 30 Studierende aus dem Bereich Soziale Arbeit an der Quasi-Schule. Sie werden wöchentlich wechselnd in Zweier- oder Dreier-Teams eingesetzt. Die Studierenden sind hoch motiviert, sodass es kaum Unterrichtsausfall gibt. „Jedes Kultusministerium würde sich die Hände reiben“, so Dr. Norbert Kruse.
Die Studierenden können durch das Projekt universitäres lernen mit praktischer Erfahrung und sozialem Engagement verbinden: ein Angebot, das viele Studierende gerne annehmen. Mittlerweile unterrichten rund 60 Lehramtsstudierende und 30 Studierende aus dem Bereich Soziale Arbeit an der Quasi-Schule. Sie werden wöchentlich wechselnd in Zweier- oder Dreier-Teams eingesetzt. Die Studierenden sind hoch motiviert, sodass es kaum Unterrichtsausfall gibt. „Jedes Kultusministerium würde sich die Hände reiben“, so Dr. Norbert Kruse.
Wie lange sollten Kinder in der Erstaufnahme bleiben?
In der Diskussion ging es um zwei Widersprüche, mit denen das Projekt zu kämpfen hat. Anfangs gab es in der Erstaufnahmeeinrichtung eine starke Fluktuation. Einige Kinder mussten gehen, neue kamen hinzu. Durch einen Transferstopp für drei Monate konnte die Kontinuität erhöht werden, was sich sofort positiv auf die Lernerfolge der Kinder auswirkte. Die Kinder konnten nun intensiver auf die Regelschule vorbereitet werden. Allerdings werden die Familien so länger in der Erstaufnahme gehalten, was ihre Ankunft in Deutschland verzögert. Ein Konflikt, der nur schwer aufzulösen ist.
Kontinuität und Verlässlichkeit trotz begrenzter zeitlicher Ressourcen
Der zweite Widerspruch bezieht sich auf das Rotationsprinzip der Studierenden. Aufgrund des begrenzten Zeitbudgets geht jede Woche ein neues Team von Studierenden in die Klasse. Die Kinder müssen sich immer wieder neu auf die Lehrerinnen und Lehrer einstellen, obwohl sie eigentlich Verlässlichkeit und Bindung brauchen. Diskutiert wurde unter anderem, wie man Ehrenamtliche, die sich vielleicht ohnehin in der Einrichtung engagieren, in den Unterricht einbinden kann, um so eine stärkere Kontinuität zu gewährleisten. Auch die Möglichkeit, die Quasi-Schule als Ort für Studierende zur Absolvierung ihres Praxissemester zu etablieren, wurde als spannende Idee bewertet.
Foto: Kurt Heldmann / otc