Wie digitales Change-Management gelingen kann

Digitale Innovationen zu entwickeln, ist eine Sache. Die andere ist es, Mitarbeitende mitzunehmen. Sie sollen im Idealfall neue Prozesse nicht nur akzeptieren, sondern mitgestalten und weiterentwickeln. Der DRK-Bundesverband hat das Experiment gewagt und sich beim Relaunch einer seiner Websites zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen auf eine Lernreise begeben.

Die Chance, ein digitales Lern- und Experimentierfeld zu öffnen, bot sich Mitte 2017, als der Relaunch des Fachportals der DRK-Wohlfahrtspflege anstand. Die Homepage www.DRK-Wohlfahrt.de gibt es seit 2013. Auf eher statischen Seiten wurden hier zahlreiche Themen rund um die Wohlfahrtspflege im DRK präsentiert. Das Publikum war überschaubar! Beste Voraussetzungen also, um die Arena für gemeinsames Lernen und Experimentieren zu bereiten. Der durchaus kritische Bericht über die mäßigen Nutzerzahlen in einer Führungskräfterunde war entscheidend für das Commitment der Führungskräfte zu einer kompletten Neuausrichtung der Seite. Großer Schaden war schließlich nicht zu erwarten.

Natürlich ist das mittel- bis langfristige Ziel der neuen Website, mehr Menschen zu erreichen. Kurzfristig aber musste es darum gehen, etwas Nützliches, Ansprechendes und vor allem Lebendiges zu schaffen. Und dafür galt es, möglichst viele Kolleginnen und Kollegen mitzunehmen.

Tipp: Lern- und Experimentierfelder zeichnen sich nicht nur dadurch aus, dass man selbst aktiv werden kann. Sie bieten den Aktiven auch unmittelbares Feedback. Auf diese Weise entstehen statt „Als-ob-Situationen“ Lernchancen in Realbedingungen, ohne dass Missgeschicke und Fehler allzu ernsthafte Konsequenzen haben.

NEUES GEMEINSAM GESTALTEN

Am Beginn der Reise stand ein Strategie-Workshop mit den Führungskräften des Bereichs. Unterstützt durch zwei Pro-bono-Berater der IBM Deutschland, wurde die grundsätzliche Ausrichtung der neuen Seite und ihre Zielgruppe erarbeitet. Die externe Unterstützung war an dieser Stelle des Prozesses besonders hilfreich. Mit einer Prozessbegleitung aus den eigenen Reihen hätten wir wahrscheinlich eher bestehende „mentale Modelle“ (Peter M. Senge) über nützliche und ansprechende Internetseiten reproduziert, als wirklich etwas Neues zu schaffen. Dann kamen die Mitarbeitenden ins Spiel: In einem Personas-Workshop wurden die Zielgruppen der neuen Seite genauer beschrieben und daran anschließend wurde die neue Sitemap aufgebaut. Abgeleitet daraus entstanden Arbeits- und Projektgruppen, die für die einzelnen Unterseiten zuständig sein sollten. Diese Vergabe der Zuständigkeiten sollte sich als Thema erweisen, das auf dem weiteren Weg noch einige Herausforderungen barg.

Tipp: Unbekannte und ungewohnte Methoden haben in Prozessen, aus denen etwas Neues entstehen soll, einen besonderen Wert. Einerseits sind sie erlebbare Zeichen dafür, dass ausgetretene Pfade wirklich verlassen werden. Andererseits verhindern sie, dass mit eingeschliffenen Verhaltensweisen Altbekanntes reproduziert wird.

Die auf diesem Wege – und mit dem Segen der Führungskräfte – für das Projekt ausgewählten Kolleginnen und Kollegen wurden schließlich zu einer Schreibwerkstatt eingeladen und gebeten, eine gemeinsame Ausrichtung „ihrer“ Seiten zu erarbeiten. Bei den meisten Gruppen stand hier vor allem Teambuilding auf dem Programm. Das Finden der neuen Rollen gelang nicht ohne ein gewisses Maß an Reibung.

Neben den ausgewählten Kolleginnen und Kollegen wurden natürlich auch alle anderen Mitarbeitenden des Bereiches regelmäßig über den aktuellen Stand der Dinge informiert und zu Workshops, beispielsweise zu Themen wie „Storytelling“ oder „Fotografie mit dem Smartphone“, eingeladen. Bei einigen weckten die Angebote auch Interesse, mit auf die Reise zu gehen, eine systematische Einbindung aber war das natürlich nicht.

Tipp Um in Lern- und Experimentierfeldern selbst aktiv werden zu können, sind technische und inhaltliche Hilfestellungen nötig. Wenn Schulungen oder Workshops angeboten werden, müssen die Inhalte allerdings auch praktisch und im Alltag einsetzbar sein. Im besten Falle gibt es eine konkrete Fragestellung oder – noch besser – ein konkretes Problem, das es zu lösen gilt.

HERAUSFORDERUNGEN KONKRET MACHEN

Der Arbeit an der Struktur und den Inhalten folgte die technische Umsetzung. Um die neue Website greifbarer zu machen, wurde sehr schnell ein Prototyp online gestellt. Auch wurden alle Mitarbeitenden im Bereich mit Zugangsdaten zum Backend versorgt und eingeladen, das Content-Management-System (TYPO3) zu erkunden und mit dem Zusammenspiel von Text und Bild auf der Website zu experimentieren – eine Einladung, der allerdings kaum jemand nachkam. Zwar ist der Prototyp nicht gänzlich unbeachtet geblieben, er wurde aber mehr als Schaufenster zum aktuellen Stand des Projektes denn als geschütztes Lern- und Experimentierfeld genutzt. Und das war auch nachvollziehbar! Da das Datum, an dem die Internetseite online gehen würde, lange unklar blieb (es musste immer wieder verschoben werden), war die Herausforderung schlicht noch nicht konkret genug und andere Projekte drängender.

Erst kurz vor dem Livegang Mitte September 2018 änderte sich das. Nun mussten die Themenseiten mit Bildern und Texten zum Leben erweckt werden. Die Rahmenbedingungen dafür – Strategie, Personas, Tonalität und Bildsprache – waren bekannt, das „Wie“ allerdings offen. Und so bot ich den zuständigen Kolleginnen und Kollegen an, bei ihren ersten Schritten im Backend behilflich zu sein und sie bei der Gestaltung ihrer Seiten zu beraten. Im Ergebnis entstanden ganz unterschiedliche Themenseiten, die nun von den Kolleginnen und Kollegen selbst gepflegt werden. Anstöße zur Weiterentwicklung der Seiten (insbesondere Nutzungsstatistik und qualitatives Feedback) werden ihnen dafür geliefert – über die Zielgruppen, die Tonalität und die Bildsprache hinaus gibt es aber keine weiteren Vorgaben. Nicht einmal Freigaben durch Vorgesetzte sind nunmehr vorgesehen; weder auf den Themenseiten noch im Blog der neuen www.DRK-Wohlfahrt.de.

Tipp: Damit Aktive in einem Lern- und Experimentierfeld möglichst unmittelbares Feedback bekommen können, sollte auf einengende Regelungen verzichtet werden. Besser ist es, in Guidelines zu erklären, wie Dinge nicht gemacht werden sollen. Ein so umgrenzter Möglichkeitsraum setzt kreative Potenziale frei, deren Nutzung viel Freude bereiten kann.

SCHRITT FÜR SCHRITT VORWÄRTS GEHEN

Unsere neue Website haben wir mit dem Zusatz „BETA“ versehen. Sie ist nicht fertig, aber online. Ihre Pflege ist dementsprechend eine echte Herausforderung – mindestens für die Kolleginnen und Kollegen, die für die Themenseiten zuständig sind. Alle anderen werden wir gewinnen, aktiv mitzuarbeiten, und dann auch bei Fragen der technischen Machbarkeit und den vielen Gestaltungsmöglichkeiten unterstützen. Wie das gelingen wird, ist noch nicht klar, die ersten Schritte gehen wir bereits:

– Führungskräfte des Bereichs gehen mit gutem Beispiel voran und veröffentlichen kurze Reiseberichte im Blog.

– Projekt- und Veranstaltungsseiten werden angelegt und konzeptionell mit anderen Bereichen der Seite (Kontaktverzeichnis, Veröffentlichungen und Blog) verschränkt.

– Und nicht zuletzt werden die Inhalte über soziale Medien deutlich häufiger geteilt und aufgerufen als zuvor.

Tipp: In einem Lern- und Experimentierfeld selbst aktiv zu werden, um allgemein etwas zu lernen, ist ein sehr unkonkreter und damit schwacher Anreiz. Konkreter wird es, wenn das Gelernte klare Mehrwerte bietet. Vorbilder sollten solche Mehrwerte dementsprechend aufzeigen, dabei aber möglichst offenlassen, wie die Vorhaben konkret ausgestaltet werden.

Das alles sind gute erste Schritte! Bis aber alle Mitarbeitenden des Bereichs wirklich auf unserer Website präsent sein werden, wird es noch ein bisschen dauern. Dranbleiben, aber auch zuhören heißt die Devise – Einwände ernst nehmen, ohne sich ausbremsen zu lassen, und mutig sein, immer wieder Experimente zu wagen.

Absatz

Der Text ist erschienen im E-Book:

„Digitalisierung. Vom Buzz Word zur zivilgesellschaftlichen Praxis“

Ein Buchcover liegt schräg auf einer Textinnenseite

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